Die prädiktive Genomanalyse, also die vorausschauende Bewertung bereits genetisch angelegter künftiger Erkrankungen durch Gen- oder Bluttests, stellt in der Medizin einen der klassischen Reibepunkte zwischen dem technisch Möglichen und dem ethisch Gewollten dar. Dem Thema wohnt eine echte Janusköpfigkeit inne: einerseits wird gehofft, den Schlüssel zur Heilung von Krankheiten in den Händen zu halten, während andererseits die Furcht vor dem gläsernen Menschen besteht. Die rechtliche Demarkationslinie zwischen diesen Lagern ist das am 1.2.2010 in Kraft getretene Gendiagnostikgesetz, das einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen schaffen will und bei dem insbesondere auch versicherungswirtschaftliche und versicherungsrechtliche Aspekte berücksichtigt wurden. Durch das GenDG wird die in der deutschen Sprache als Synonym für Zwiespältigkeit verwendete "Janusköpfigkeit" der Gendiagnostik dem tatsächlichen Charakter des römischen Gottes Janus angepasst, der in zwei und nicht nur in eine Richtung blickt und zugleich eröffnet und verschließt: denn Ziel des GenDG ist es, die mit der Untersuchung menschlicher genetischer Eigenschaften verbundenen möglichen Gefahren von genetischer Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den einzelnen Menschen zu wahren. Mit dem Gesetz sollen Anforderungen an eine gute genetische Untersuchungspraxis verbindlich gemacht werden.
Der Bereich der Risikoprüfung bei Personenversicherungen (speziell Kranken-, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, aber bspw. auch Unfallversicherungen) ist naturgemäß in ganz besonderem Maß am Erhalt möglichst umfassender Gesundheitsdaten interessiert. Der Berufsverband deutscher Humangenetiker e.V. (BVDH) führt eine Liste genetisch bedingter Erkrankungen, die im deutschsprachigen Raum in entsprechend spezialisierten Einrichtungen gegenwärtig durch eine DNA-Analyse untersucht werden können. Diese Liste umfasste zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung 1.199 eingetragene Krankheiten. Die Versicherungswirtschaft hatte sich bereits früh mit dem Konflikt beschäftigt. Am 25.10.2001 wurde eine zunächst für fünf Jahre gültige und dann bis zum 31.12.2011 verlängerte freiwillige Selbstverpflichtungserklärung der Mitgliedsunternehmen des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. abgegeben, in der diese auf die Durchführung prädiktiver genetischer Tests als Voraussetzung eines Vertragsabschlusses verzichteten.