1. Grundsätze
Offenbarungspflichtig sind nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG/§ 16 VVG a.F. nur gefahrerhebliche Umstände. Ob prädiktive Untersuchungen und dadurch gewonnene Erkenntnisse gefahrerheblich sind, hängt von der Art der drohenden Erkrankung, der jeweiligen Versicherung und der Fragestellung im Antrag ab. Gefahrerheblich sind nach altem und neuem VVG solche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Es muss also Entschlussrelevanz bestehen. Die Beurteilung der vom Versicherungsnehmer anzuzeigenden Umstände ist allein Sache des Versicherers. Die Gefahrerheblichkeit ist immer im Rahmen des jeweiligen Versicherungsvertrags zu beurteilen und richtet sich nach den konkreten Risikoprüfungsgrundsätzen des Versicherers. Eine Erkrankung, die nicht lebensbedrohlich ist, wird bspw. für eine Lebensversicherung nicht gefahrerheblich sein, für eine Krankenversicherung hingegen in der Regel schon.
Tatsächliche Umstände, die kausale Voraussetzung für die spätere Entwicklung eines gefahrerheblichen Umstands sind, aber nicht ausdrücklich abgefragt werden, sind (noch) nicht gefahrerheblich. Konkret hängt die Gefahrerheblichkeit eines genetischen Defekts daher davon ab, ob der bisher nur "schwelende" Defekt bereits die Schwelle zur Gefahrerheblichkeit überschreitet und was der Versicherer im Antragsformular abfragt.
2. Bekannter Gendefekt = Schwelle der Gefahrerheblichkeit überschritten?
Da sich die Gefahrerheblichkeit vornehmlich danach richtet, was der Versicherer für sich als Risiko einstuft, wird vertreten, dass es zwingende Voraussetzung einer Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers sein soll, dass der Versicherer bezüglich der konkreten Gentestergebnisse überhaupt Risikoprüfungsgrundsätze entwickelt habe. Verlangt wird damit anscheinend, dass der Versicherer zusätzlich zur (in der Regel vorliegenden) risikotechnischen Bewertung der "ausgebrochenen" Erkrankung auch Annahmegrundsätze für die bloße prädiktive Bestätigung der genetischen Disposition entwickelt (fiktives Beispiel: prädiktiv bestätigte, aber noch nicht ausgebrochene Erkrankung bei unter 40jährigen = Risikozuschlag von 25 %).
Dies geht jedoch zu weit. Sobald der Versicherer die Erkrankung als solche in seinen "Katalog" aufgenommen hat, ist das Vorhandensein von Risikoprüfungsgrundsätzen zu bejahen; die risikotechnische Bewertung einer noch nicht ausgebrochenen Erkrankung ist nicht erforderlich. Dies ergibt sich daraus, dass gefahrerhebliche Umstände auch solche sind, die die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalls und dessen Folgen betreffen und dass auch nur indizierende Umstände, die auf wahrscheinlichkeitsrelevante Tatsachen hinweisen oder zu deren Feststellung führen können, gefahrerheblich sind, wie z.B. Krankheitssymptome. Formuliert wird zwar, dass alle diejenigen Umstände anzugeben sind, die auf das Vorliegen eines gefahrerheblichen Zustands schließen lassen. Gemeint ist damit aber zumindest auch eine bestimmte Wahrscheinlichkeit eines gefahrerheblichen Umstands und zwar bezogen auf dessen konkrete Realisierung. Denn auch wenn sich ein Mensch mit erhöhten Leberwerten oder einem Herzfehler derzeit "pudelwohl" fühlt, interessiert den Versicherer dies im Hinblick auf die daraus möglicherweise sich entwickelnden Erkrankungen. Aus Sicht des Versicherers ist gerade dies damit erheblich für die Gefahr. Eine andere Frage ist es, ob ein solcher Umstand einerseits auch objektiv gefahrerheblich sein muss und andererseits vom Versicherer auch für den Antragsteller erkennbar abgefragt wird.