Einführung
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Bußgeldsachen scheint der rechtlichen Lage nach einfach zu sein: eine Beiordnung findet in den seltensten Fällen statt, gerade weil man immer die Rechtsfolge als schlagendes Argument vor Augen haben muss. Was am Ende zu Lasten des Betroffenen im Urteil steht, wird als nicht gravierend angesehen, nicht einmal das Fahrverbot als Nebenfolge. Dennoch wird immer wieder geäußert, dass das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, jedenfalls hinsichtlich bestimmter Fallkonstellationen, so detailliert umstritten ist, dass eine Verteidigung durch den Betroffenen selbst kaum sachgerecht erfolgen könne. Ob dieser subjektive Eindruck richtig oder nur Verteidigerwunsch ist, soll anhand eines kurzen Überblicks zur Thematik geprüft werden.
A. Grundlagen
Für das Verwaltungsverfahren gilt gem. § 60 OWiG nur § 140 Abs. 2 S. 1 StPO. Im späteren Verfahren vor Gericht gilt § 140 StPO über § 46 OWiG aber uneingeschränkt. Der Betroffene darf, sofern eine Beiordnung von Amts wegen in Betracht käme, noch keinen Wahlverteidiger beauftragt haben, § 141 Abs. 1 StPO. Eine während des gerichtlichen Verfahrens erfolgte Beiordnung gilt auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren, eine vor der Verwaltungsbehörde erfolgte Beiordnung aber nicht für das gerichtliche Verfahren. Eine analoge Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im bußgeldrechtlichen Vollstreckungsverfahren dürfte wegen der wenig schwerwiegenden Folgen stets scheitern.
Ein klassischer und unstreitiger, aber seltener Fall der Pflichtverteidigung wäre der in anderer Sache inhaftierte Betroffene. Interessant sind jedoch eher die Fälle des § 140 Abs. 2 StPO. Allgemein müssen im Rahmen der Prüfung des § 140 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG die drei Beiordnungsvarianten unterschieden werden: die Tatschwere, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder aber die Generalklausel zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens bei fehlender Verteidigungsfähigkeit des Betroffenen.
I. Schwere der Tat
Bezüglich der Schwere der Tat sind neben der Verteidigungsfähigkeit des Betroffenen die Höhe der Geldbuße und die möglichen Nebenfolgen relevant. Dabei ist das Fahrverbot an sich nicht als Nebenfolge ausreichend, um eine Beiordnung zu bejahen. Unterschiedlich beurteilt wird das Problem der nur mittelbaren schweren Folge, also wenn bspw. ein Fahrverbot sicher zum Arbeitsplatzverlust führen wird. Hierfür muss wohl wenigstens der Arbeitgeber als Zeuge angeboten werden bzw. die Vorlage einer eindeutigen Arbeitgeberbescheinigung sowie eine inzidente arbeitsrechtliche Prüfung, z.B. nach dem KSchG, seitens des Verteidigers erfolgen, um den Erfolg des Antrags nicht von vornherein zu gefährden. Auch bei einer Vielzahl von aktuell und noch demnächst drohenden Nebenfolgen ist die Frage des Arbeitsplatzverlustes virulent und ein möglicher Beiordnungsgrund. Zur Konstellation, dass dem Betroffenen der Fahrerlaubnisentzug im Verwaltungsweg wegen einer kritisch hohen Punktezahl im Verkehrszentralregister (VZR) droht, erging erst neuerdings ablehnende Rechtsprechung (s.u. B. I.).
II. Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage
Die Sachlage ist schwierig bei kompliziertem oder umfangreichem Sachverhalt oder wenn eine sachgemäße Verteidigung etwa im Hinblick auf wechselnde oder widersprechende Aussagen von Zeugen oder andere Umstände nicht möglich ist. Abzustellen ist auf die persönlichen Fähigkeiten des Betroffenen, sodass man einem Berufskraftfahrer Kenntnis über die Lenk- und Ruhezeiten nach dem FPersG unterstellen muss. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist u.U. ein weniger strenger Prüfungsmaßstab für die Frage der persönlichen Fähigkeiten anzusetzen. Zur Frage der notwendigen Akteneinsicht später (s.u. B. III.).
Bei gängigen Ordnungswidrigkeiten ist eine Schwierigkeit der Rechtslage kaum zu begründen. Dies kann allenfalls gelingen bei Blanketttatbeständen mit komp...