AVB 2008 E.1.3 E.6.2; StGB § 142 Abs. 2
Leitsatz
1. Kommt der VN, der sich nach einem Verkehrsunfall erlaubt vom Unfallort entfernt hat, seiner Pflicht zur unverzüglichen Ermöglichung nachträglicher Feststellungen nicht rechtzeitig nach, informiert er jedoch stattdessen seinen VR zu einem Zeitpunkt, zu dem er durch Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 StGB noch hätte abwehren können, so begründet allein die unterlassene Erfüllung der Pflicht nach § 142 Abs. 2 StGB keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit. (Amtlicher Leitsatz)
2. Zur Arglist bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 21.11.2012 – IV ZR 97/11
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. aus einer Kfz-Kaskoversicherung auf Versicherungsleistungen für einen Fahrzeugschaden an seinem geleasten Pkw infolge eines Unfalls v. 11.7.2008 in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag sind anlässlich einer Änderung der Schadenfreiheitsklasse gem. "Nachtrag 008 zum Versicherungsschein" v. 4.8.2008 rückwirkend zum 2.5.2008 "AVB mit dem Stand 1.1.2008" zugrunde gelegt worden, in denen es unter anderem heißt:
"E.1.3 Aufklärungspflicht"
Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insb., dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. …
E.6.1 Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung
Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. …
E.6.2 Leistungspflicht trotz Pflichtverletzung
Abweichend von E.6.1 sind wir zur Leistung verpflichtet, soweit Sie nachweisen, dass die Pflichtverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich war. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflicht arglistig verletzen.“
Bei dem Unfall war der Kl. gegen 1.00 Uhr morgens auf einer Landstraße in einer Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abgekommen und mit dem Fahrzeugheck gegen einen Baum geprallt, der ebenso wie sein Fahrzeug beschädigt wurde. Nach dem Unfall verständigte er den ADAC, der das Fahrzeug abschleppte, und ließ sich von einem herbeigerufenen Bekannten an der Unfallstelle abholen. Die Polizei verständigte er nicht, behauptet aber, der Bekl. den Unfall unverzüglich gemeldet zu haben.
2 Aus den Gründen:
[8] "… Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das BG."
[9] I. Dieses hat ausgeführt, dass die Bekl. wegen einer “Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Kl.’ leistungsfrei sei. Hierfür könne es dahinstehen, ob auf den Versicherungsfall das VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung oder der Neufassung anzuwenden sei, da eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung gegeben sei. Der Kl. habe seine Aufklärungsobliegenheit verletzt, indem er zwar nicht den Straftatbestand des § 142 Abs. 1 StGB, wohl aber den des § 142 Abs. 2 StGB erfüllt habe.
[10] Ihn treffe auch kein nur leichtes Verschulden i.S.d. Relevanzrechtsprechung zum alten Recht und ebenso wenig habe er den nach neuem Recht möglichen Kausalitätsgegenbeweis geführt. Sein diesbezüglicher Vortrag zu einer fehlenden Alkoholisierung sei nicht hinreichend konkretisiert. Außerdem sei der Kausalitätsgegenbeweis wegen arglistigen Verhaltens gem. § 28 Abs. 3 S. 2 VVG n.F. ausgeschlossen.
[11] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
[12] 1. Die Obliegenheiten des Kl. und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung beurteilen sich hier nach den Regelungen der AKB Stand 1.1.2008.
[13] Dafür kann offen bleiben, welche Fassung des VVG auf den eingetretenen Versicherungsfall anzuwenden ist. Die Parteien haben durch die Vereinbarung der AKB Stand 1.1.2008 – hierüber besteht zwischen ihnen Einigkeit – der Sache nach mit sofortiger Wirkung die Geltung der hinsichtlich der Obliegenheiten an das VVG 2008 angepassten Regelungen vereinbart.
[14] Gegen die Wirksamkeit dieser vorzeitigen Anpassung des Vertrags an das VVG 2008, die die Bekl. mit Wirkung zum 1.1.2009 nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 3 EGVVG auch einseitig hätte herbeiführen können, bestehen selbst dann keine Bedenken, wenn gem. Art. 1 Abs. 2 EGVVG auf den Versicherungsfall noch das VVG in der bis zum 31.12.2007 gültigen Fassung anzuwenden wäre, weil die Rechtsfolgenregelung in den AKB 2008 für den VN insgesamt günstiger ist.
[15] 2. Das BG hat die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit aus E.1.3 AKB mit unzureichender Begründung bejaht.
[16] a) Rechtsfehlerfrei hat es allerdings eine vorsätzliche Tatbestandsverwirklichung nach § 142 Abs. 2 StGB durch den Kl. angenommen. Dieser war, nachdem er sich mangels feststellungsbereiter Personen in der Nacht nach Ablauf der Wartefrist vom Unfallort entfernen durfte, wegen des eingetretenen Fremdschadens am Straßenbaum verpflichtet, die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der A...