OWiG § 74 Abs. 2
Leitsatz
Das AG hat den Einspruch des nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen und unentschuldigt ausgebliebenen Betr. auch dann nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen, wenn das vorausgegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen worden war. (Rn 14)
Entgegen OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2006 – 4 Ss OWi 742/06.
BGH, Beschl. v. 18.7.2012 – 4 StR 603/11
Sachverhalt
1. Das AG Hannover hat den Betroffenen zu einer Geldbuße von 160 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betr. hat das OLG Celle das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und zurückverwiesen. Das AG Hannover hat den Einspruch des Betr. gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betr., der nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, trotz ordnungsgemäßer Ladung in der Hauptverhandlung unentschuldigt ausgeblieben ist. Gegen dieses Urteil hat der Betr. erneut Rechtsbeschwerde eingelegt.
2. Das OLG Celle möchte die Rechtsbeschwerde als unbegründet verwerfen. Es ist der Ansicht, dass der Einspruch des Betr., der trotz Anordnung seines persönlichen Erscheinens in der Hauptverhandlung ausbleibt, auch nach vorangegangener Teilaufhebung im Rechtsfolgenausspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden kann.
An der beabsichtigten Verwerfung der Rechtsbeschwerde sieht sich das OLG durch den Beschluss des OLG Hamm v. 2.11.2006 – 4 Ss OWi 742/06 – (VRS 112 [2007], 49) gehindert. Nach Ansicht des OLG Hamm kommt eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht in Betracht, wenn durch das Rechtsbeschwerdegericht nur der Rechtsfolgenausspruch eines Urteils mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben worden ist. Der Konflikt zwischen der zwingenden Anordnung des § 74 Abs. 2 OWiG und der eingetretenen Teilrechtskraft der vorangegangenen gerichtlichen Entscheidung sei dahin zu lösen, dass der Teilrechtskraft der Vorrang einzuräumen sei.
Nach dieser Rspr. des OLG Hamm wäre im vorliegenden Fall das angefochtene Urteil auf die im Rahmen der Sachrüge von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Frage, ob das Amtsgericht den Umfang seiner Prüfungs- und Feststellungspflicht verkannt hat, aufzuheben. Das vorlegende OLG Celle teilt diese Auffassung nicht. Auszugehen sei davon, dass § 74 Abs. 2 OWiG zwingend und ohne Ausnahme die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid bei unentschuldigter Abwesenheit des Betr. in der Hauptverhandlung vorschreibe. Mit der Neufassung habe der Gesetzgeber – gerade auch bei Abwesenheit des Betr. – eine Vereinfachung des Verfahrens und damit eine Entlastung der Gerichte erreichen wollen, die nach der Zielrichtung des Gesetzentwurfs dringend geboten erschien. Eine einschränkende Auslegung des § 74 Abs. 2 OWiG würde dieser Zielrichtung zuwiderlaufen.
Ferner könne nicht außer Acht gelassen werden, dass dem AG keine Zwangsmittel zur Verfügung stünden, um das Erscheinen des Betr. vor Gericht zu erzwingen. Der Gesetzgeber habe bei der Neufassung des § 74 Abs. 2 OWiG die noch in § 74 Abs. 2 a.F. neben der Verwerfung des Einspruchs vorgesehenen Möglichkeiten, die Vorführung des Betr. anzuordnen oder ohne den Betr. die Hauptverhandlung durchzuführen, angesichts der zwingenden Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG ausdrücklich für entbehrlich gehalten.
Die vom OLG Hamm aufgezeigte Lösung würde das Verfahren mit neuen, vom Gesetzgeber mit der Neuregelung gerade nicht intendierten zusätzlichen Rechtsproblemen belasten.
Dafür spreche auch, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 67 Abs. 2 OWiG die Möglichkeit der Beschränkung des Einspruchs auf bestimmte Beschwerdepunkte geschaffen habe und es damit als rechtlich zulässig ansehe, dass ein Gericht die Rechtsfolgen der Tat auf der Basis eines Schuldspruchs durch Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde festsetze.
Das OLG hat die Sache gem. § 121 Abs. 2 GVG dem BGH vorgelegt und die Rechtsfrage wie folgt formuliert:
"Darf das AG den Einspruch eines nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betr. gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde auch dann noch gem. § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG verwerfen, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das AG zurückverwiesen worden war?"
3. Der Generalbundesanwalt beantragt zu entscheiden:
"Unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG hat das AG den Einspruch eines Betr. gegen einen Bußgeldbescheid auch dann zu verwerfen, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und in diesem Umfang an das AG zurückverwiesen wurde."
2 Aus den Gründen:
[9] "II. 1. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Vorschrift des § 121 Abs. 2 GVG ist gem. § 79 Abs. 3 OWiG für die Rechtsbeschwerde i.S.d. Ordnungswidrigkeitengesetzes entsprechend heranzuziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 20.3.1992 – 2 StR 371/91, BGHSt 38, 251, 254)....