Die wohl am meisten beachtete Neuerung im Jahre 2002 war die Einführung eines verschuldensunabhängigen Schmerzensgeldes u.a. in §§ 11 Abs. 2 StVG, 253 BGB, also schon bei Vorliegen einer Gefährdungshaftung. Damit erfolgte eine Angleichung an viele andere europäische Staaten. Ihrem Ziel entsprechend brachte die Reform eine Reduktion der gerichtlichen Verfahren und speziell den Wegfall von Beweiserhebungen zum Vorliegen eines Verschuldens, so dass die Abläufe von Gerichtsverfahren, aber auch der außergerichtlichen Regulierung beschleunigt wurden.
Zu Recht hat sich vor diesem Hintergrund die von mir unmittelbar nach Inkrafttreten der Neuregelung vertretene Meinung nicht durchgesetzt, wonach die Höhe des Schmerzensgeldes bei einer reinen Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG niedriger ausfallen müsse als bei Vorliegen eines Verschuldens. Dafür sprach zwar das logische Argument, dass das Schmerzensgeld aufgrund seiner Genugtuungsfunktion (auch) vom Grad des Verschuldens abhängt und dass es umgekehrt bei einem schweren Verschulden des Schädigers unstreitig erhöht wird. Dieses Verständnis hätte aber zur Konsequenz, dass die vom Gesetzgeber nicht mehr gewollte Beweisaufnahme zum Verschulden letztlich doch "durch die Hintertür" zu der Höhe des Betrages durchgeführt werden müsste. Da die Genugtuungsfunktion im Verkehrsrecht ohnehin lediglich eine untergeordnete Rolle spielt, differenziert die Praxis und Rspr. bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch nach der Reform des Jahres 2002 richtigerweise nicht zwischen einem Verschulden des Schädigers und einer Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG.
Aus Sicht der Versicherungswirtschaft ist es bedauerlich, dass der Gesetzgeber die Zahlung von Schmerzensgeld bei Bagatellverletzungen entgegen seiner ursprünglichen Absicht nicht explizit ausgeschlossen hat. Sein dahingehender Appell in den Gesetzesmaterialien hat ebenso wenig Eingang in die Regulierungspraxis gefunden wie die entsprechende Empfehlung des 52. Deutschen Verkehrsgerichtstags Goslar 2014.
Speziell bei den Schmerzensgeldern nach sehr schweren Verletzungen ist gegenwärtig eine merkliche Erhöhung der Beträge zu beobachten. Gab es dafür Mitte der 80er Jahre noch eine imaginäre Grenze von 150 TSD DM, hat das LG München I im Jahre 2001 erstmals einen Betrag von 1 Mio. DM ausgeurteilt. Am 5.12.2018 hat das OLG Köln ausgeführt, dass das in dem konkreten Geburtsschaden zugesprochene Schmerzensgeld von 500 TSD EUR eine Obergrenze für besonders schwere Gesundheitsschäden darstellt. Aktuell urteilen die Gerichte bei allerschwersten Geburtsfehlern oder sog. Locked-in-Syndromen bereits Beträge bis zu 650 TSD EUR zu. Anders als in der Literatur teilweise praktiziert, kann aus meiner Sicht insoweit nicht mit dem Urteil des LG Aurich vom 23.11.2018 argumentiert werden, das einem 5-jährigen Jungen nach einem schweren ärztlichen Behandlungsfehler, infolge dessen beide Beine amputiert werden mussten, am ganzen Körper massive Hautnekrosen und starke psychische Probleme aufgetreten sind, ein Schmerzensgeld von 800 TSD EUR zuerkannt hat. Die Entscheidung ist nämlich nicht rechtskräftig, es bleibt also abzuwarten, ob der Betrag, bei dem das LG selbst auf den gegebenen extremen Ausnahmefall hinweist, vom OLG Oldenburg in 2. Instanz bestätigt wird.
Diese anhaltende maßvolle Erhöhung des Schmerzensgeldes in diesem Segment ist aus meiner Sicht durchaus vertretbar und steht im Einklang zu den mit breiter Mehrheit beim Verkehrsgerichtstag verabschiedeten Empfehlungen. Zu einer aus meiner Sicht nicht sachgerechten und nicht mehr gerechtfertigten wahren Explosion der Beträge im Sinne einer "Amerikanisierung" käme es allerdings, wenn sich die vom OLG Frankfurt am 18.10.2018 als erstem Obergericht vertretene, von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi, Handbuch Schmerzensgeld, 2013, 13 ff. entwickelte "taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes durchsetzen würde. Sie ist in der Berechnung überaus komplex, vor allem bestehen jedoch gegen das Modell massive systematische Bedenken. Zu hinterfragen ist bereits sein Ausgangspunkt, wonach jeder Mensch ein gleiches Schmerzempfinden hat. Dogmatisch problematisch ist es aber insb., bei dem einen immateriellen Schadensausgleich bezweckenden Schmerzensgeld auf eine rein materielle Größe wie das statistische Durchschnittseinkommen abzustellen. Die davon je Behandlungsstadium genommenen Prozentsätze sind zudem pauschal, tragen mithin nicht dem Umstand Rechnung, dass das Leiden z.B. auf der Intensivstation je Verletzung durchaus unterschiedlich ausfällt. Problematisch sind die im Anschluss vorgenommenen individuellen Zu- und Abschläge, da hierdurch die von dem Modell primär angestrebte Vorhersehbarkeit der Entschädigungsleistung nur in einem begrenzten Umfang erreicht werden kann. Nicht ganz verständlich ist schließlich, generalpräventive Überlegungen in die Berechnung eines individuellen Anspruchs einzubeziehen.
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