OWiG § 17 § 74; StPO § 265
Leitsatz
1. Auch im Abwesenheitsverfahren bedarf eine gegenüber dem Bußgeldbescheid deutliche Erhöhung der Geldbuße ohne das ausnahmsweise Hinzutreten besonderer, im Einzelfall einen Vertrauenstatbestand begründender Umstände grds. keines vorherigen gerichtlichen Hinweises entsprechend § 265 Abs. 1, Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG (u.a. Anschluss an OLG Bamberg zfs 2011, 410).
2. Ein infolge der Gewährung von Wiedereinsetzung in die Versäumung der Hauptverhandlung (§ 74 Abs. 4 OWiG) entfallenes Abwesenheitsurteil nach § 74 Abs. 1 OWiG kann einen solchen Vertrauenstatbestand schon deshalb nicht schaffen, weil die Wiedereinsetzung dem Betr. keine Vorteile verschaffen soll, die er ohne die Gewährung von Wiedereinsetzung nicht gehabt hätte.
3. Weder ist das rechtliche Gehör verletzt noch liegt ein Verstoß gegen die gerichtliche Fürsorgepflicht vor, wenn das Gericht in der Hauptverhandlung, in der der Betr. nicht erschienen und auch nicht vertreten ist, Auskünfte aus Fahrerlaubnis- und Bundeszentralregister bußgelderhöhend verwertet, ohne dass der Betr. hierauf zuvor hingewiesen wurde (u.a. Anschluss an BayObLGSt 1995, 43).
BayObLG München, Beschl. v. 19.8.2019 – 202 ObOWi 1446/19
Sachverhalt
Das BayObLG hat den Antrag des Betr., gegen das Urteil des AG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
"Gegen den Betr. ist eine Geldbuße von nicht mehr als 250 EUR festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 OWiG darf die Rechtsbeschwerde daher nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall liegt hier – auch in Ansehung der Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 19.7.2019 – nicht vor."
Zur Frage der Versagung des rechtlichen Gehörs bemerkt der Senat lediglich Folgendes:
1. Die Erhöhung der im Bußgeldbescheid ausgewiesenen Geldbuße durch das Gericht bedarf – worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 19.7.2019 zutreffend hinweist – auch im Abwesenheitsverfahren grds. keines vorherigen gerichtlichen Hinweises entsprechend § 265 Abs. 1, Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG (vgl. OLG Bamberg zfs 2011, 410; OLG Stuttgart DAR 2010, 590; OLG Dresden DAR 2003, 181; BayObLG DAR 2002, 366; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 71 Rn 50a; KK/Senge, OWiG, 5. Aufl., § 71 Rn 102). Etwas anderes kann nach der zitierten Rechtsprechung nur dann gelten, wenn das AG vorliegend hinsichtlich der Rechtsfolgen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hätte. Davon kann hier unbeschadet des Umstands, dass das AG zunächst mit Urt. v. 16.10.2018 auf die im Bußgeldbescheid festgesetzte und gegenüber der Regelgeldbuße von 80 EUR lediglich geringfügig erhöhte Geldbuße von 120 EUR erkannt hatte, nicht ausgegangen werden. Wird nach § 74 Abs. 4 OWiG auf Antrag oder – wie hier – von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt, so wird durch die Gewährung von Wiedereinsetzung der Rechtszustand wiederhergestellt, der vor der Versäumung des Termins bestand. Aufgrund der Versäumung des Termins ergangene Entscheidungen fallen ohne weiteres weg, ohne dass es eines besonderen Ausspruchs hierüber bedarf (vgl. OLG Köln VRS 71, 48, 53; BayObLGSt 1972, 43; KK/Maul, StPO, 8. Aufl., § 46 Rn 4; Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O., § 74 Rn 47; KK/Senge, a.a.O., § 74 Rn 49). Einen Vertrauenstatbestand vermag ein solches Urteil daher von vornherein nicht zu schaffen, zumal hier die Wiedereinsetzung von Amts wegen auch in nicht zu beanstandender Weise erfolgt ist und einem Betr. generell keine Vorteile verschaffen soll, die er ohne Säumnis nicht gehabt hätte (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O., § 52 Rn 45). Darauf, dass das Protokoll der Hauptverhandlung vom 16.10.2018 ohnehin besorgen lässt, dass das AG einen Auszug aus dem Fahreignungsregister verlesen und seiner Sanktionsentscheidung zugrunde gelegt hatte, welcher sich nicht auf den Betr., sondern ersichtlich auf einen anderen Betr. bezogen hatte und ohne Eintragung war, kommt es im Übrigen nicht mehr an. Wird damit das Verfahren so fortgesetzt, wie es vor der Versäumung des Termins bestand, so kann vorliegend auch nicht etwa aus anderen Gründen von einer verfassungsrechtlich unzulässigen Überraschungsentscheidung ausgegangen werden. Ob insoweit dem OLG Dresden zu folgen wäre, das eine unzulässige Überraschungsentscheidung jedenfalls im Falle einer unangekündigten Erhöhung des Bußgeldes auf mehr als das Dreifache des Regelsatzes annimmt (OLG Dresden zfs 2019, 112), muss der Senat vorliegend nicht entscheiden. Grds. kommt eine unzulässige Überraschungsentscheidung nur dann in Betracht, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte oder Erwägungen abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen braucht (vgl. nur BGH NJW-RR 2011, 487 unter Hinweis auf BVerfG NJW 2003, 2524). So liegt der Fall hier aber...