BGB § 252 § 253 Abs. 1 § 254
Leitsatz
Anspruchskürzungen sind sowohl beim Schmerzensgeld wie beim Verdienstausfall vorzunehmen, wenn der Geschädigte gegen seine Schadensminderungspflicht dadurch verstößt, dass er eine unfallbedingt erlittene depressive Störung nicht ärztlich behandeln lässt.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Schleswig, Urt. v. 21.2.2019 – 7 U 134/16
Sachverhalt
Der Kl. erlitt als Motorradfahrer durch einen bei der Bekl. haftpflichtversicherten Pkw erhebliche Verletzungen. Der Kl. leidet seit seiner Geburt an einer genetisch bedingten Muskelatrophie. Dadurch entstand eine Adipositas und es bildete sich eine Diabetes heraus. Der Grad seiner Behinderung beträgt 60 %. Nach der Krankenhausentlassung kam es zu gesundheitlichen Komplikationen und einer ausgeprägten depressiven Störung. Nach seiner Angabe unternahm er einen Selbstmordversuch. Die psychosomatischen Beschwerden führten schließlich zur Arbeitsunfähigkeit und Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Kl. hat über die bereits gezahlten 30.000 EUR Schmerzensgeld hinaus weitere 20.000 EUR gefordert. Weiterhin hat er den Ersatz seines Verdienstausfalls geltend gemacht.
Die Bekl. hat den Zusammenhang zwischen Unfall und körperlichen Verletzungen und der depressiven Störung bestritten und eine Verletzung der Schadensminderungspflicht darin gesehen, dass der Kl. seine depressiven Störungen zwei Jahre unbehandelt ließ.
Das LG sprach dem Kl. weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR und den geltend gemachten Verdienstausfallschaden zu. Die Berufung des Kl. macht ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR geltend und wendet sich gegen Abstriche hinsichtlich des Verdienstausfallschadens. Schwerpunkt der Berufung der Bekl., die sich gegen die Höhe der zugesprochenen Beträge wendet, ist das von der Bekl. als anspruchskürzendes Mitverschulden gewertete Unterlassen der ärztlichen Behandlung der depressiven Störung. Die Berufung des Kl. war erfolglos, die der Bekl. hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"…"
[51] Die Berufung des Kl. bleibt ohne Erfolg, die der Bekl. hingegen hat teilweisen Erfolg.
[52] 1. Schmerzensgeld
[53] Das LG hat dem Kl. ein weiteres Schmerzensgeld – über vorgerichtlich gezahlte EUR 30.000 hinaus – von EUR 10.000 zugesprochen.
[54] Damit sind die berechtigten Schmerzensgeldansprüche des Kl. (§§ 7 Abs. 1, 11 S. 2 StVG i.V.m. § 253 Abs. 1 BGB) erfüllt.
[55] Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der erlittenen Verletzungen, das dadurch bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Beeinträchtigungen, ggf. auch das Verschulden des Schädigers.
[56] Nimmt man allein die vom Kl. durch den Unfall unmittelbar erlittenen körperlichen Schäden (Oberschenkelfraktur, diverse Prellungen und Quetschungen), die Dauer des Krankenhausaufenthaltes und der nachfolgenden Krankschreibung, zudem die Folgeoperation (Marknagelentfernung), würde dies nach der Rechtsprechung des Senats allenfalls ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von rund EUR 25.000 rechtfertigen.
[57] Soweit der Kl. behauptet hat und auch weiter behaupten will, in Folge der körperlichen Verletzungen nach wie vor beeinträchtigt zu sein, letztlich auf den Rollstuhl angewiesen zu sein, hat dies im Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme keine Bestätigung gefunden. Der Sachverständige Dr. D hat überzeugend – wie auch vom LG zutreffend ausgeführt – ausgeschlossen, dass Bewegungseinschränkungen am rechten Bein bei dem Kl. unfallbedingt seien. Bewegungseinschränkungen des Kl. durch Hüftbeschwerden rechts seien jedenfalls keine Unfallfolge, da weder das Hüftgelenk noch das Knie von den Unfallverletzungen betroffen gewesen seien. Ebenso wenig seien die unmittelbaren Verletzungen durch den Unfall geeignet, die Folgen der Muskeldystrophie zu verstärken. Eine Muskeldystrophie führe – so der Sachverständige D – zu einer Sehnenverkürzung. Die behaupteten Bewegungseinschränkungen sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht unfallkausal.
[58] Schmerzensgeldrelevant kann daher nur (noch) sein, dass nach den Ausführungen sowohl des vorgerichtlich tätigen psychiatrischen Sachverständigen Dr. H als auch nach denjenigen der Sachverständigen Dr. S und Dr. K der Unfall Auslöser der nachfolgenden depressiven Störungen des Kl. gewesen ist.
[59] Selbst wenn man insoweit das Vorbringen des Kl. als insgesamt zutreffend unterstellt, war der Unfall zwar Auslöser der psychischen Beeinträchtigungen, aber bei weitem nicht die einzige Ursache.
[60] Nach der Rechtsprechung des Senats (vergleiche beispielsweise Urt. v. 18.9.2003, 7 U 107/01) muss es bei der Schmerzensgeldbemessung Berücksichtigung finden, wenn der Verletzte besonders schadenanfällig ist und/oder weitere unfallunabhängige Ursachen das schmerzensgeldrelevante Geschehen beeinflusst haben, dies obgleich kein Schädiger einen Anspruch darauf hat, einen Gesunden zu verletzen.
[61] Dies hat das LG nicht berücksichtigt, obgleich feststeht, dass die depressiven Störungen des Kl. nicht monokausal durch den Unfall bedingt sind.
[62] J...