OWiG § 77 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
Ein schriftlich gestellter Beweisantrag wird verfahrensfehlerhaft abgelehnt, wenn das Tatgericht lediglich auf den § 77 OWiG verweist und eine Begründung gänzlich vermissen lässt.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.6.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 231/19 (129/19)
Sachverhalt
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h zu einer Geldbuße i.H.v. 160 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat Dauer unter der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG verhängt. Den in der Hauptverhandlung schriftlich gestellten Beweisantrag hat das AG mit folgender Begründung abgelehnt: "Der Antrag auf Einholung eines SV-Gutachtens wird gem. § 77 OWiG zurückgewiesen." Das OLG Brandenburg hat auf die Rechtsbeschwerde des Betr. das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"…"
II. Die gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch ansonsten zulässige Rechtsbeschwerde des Betr. hat in der Sache zumindest einen vorläufigen Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG.
Das Rechtsmittel dringt mit der erhobenen Verfahrensrüge des Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 OWiG durch, da das AG den schriftlich gestellten Beweisantrag in der Weise verfahrensfehlerhaft abgelehnt hat, dass es lediglich auf den § 77 OWiG verweist und eine Begründung gänzlich vermissen lässt. Ausführungen zur Ablehnung des Beweisantrages finden sich in den Urteilsgründen nicht.
Auch im Bußgeldverfahren darf ein nicht lediglich hilfsweise gestellter Beweisantrag jedoch nur durch begründeten Beschluss gem. § 244 Abs. 6 StPO abgelehnt werden (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 7.2.2014 – 2RBs 6/14; OLG Köln VRS 74, 372; BayObLG VRS 71, 198). Lediglich bei der Ablehnung eines Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann die Begründung i.d.R. darauf beschränkt werden, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 25.2.1994 – Ss 51/94 (Z)). Da das AG ausschließlich auf § 77 OWiG ohne Benennung des Absatzes abstellt, kann nicht geprüft werden, ob die Ablehnung rechtsfehlerfrei erfolgte.
Auf diesem Verfahrensfehler beruht das angefochtene Urteil auch. Es ist nicht auszuschließen, dass bei gesetzmäßiger Begründung des den Beweisantrag ablehnenden Beschlusses auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ein weiterer Beweisantrag gestellt worden wäre, dem das Gericht dann zugunsten des Betr. im Rahmen seiner Aufklärungspflicht hätte nachgehen müssen.
Die aufgezeigten Begründungsmängel führen daher zur Aufhebung des Urteils mit den getroffenen Feststellungen. Eine eigene Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG war dem Senat verwehrt. Die Sache war daher unter Aufhebung des Urteils mit den getroffenen Feststellungen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG Brandenburg an der Havel zurückzuverweisen.“
zfs 2/2020, S. 110 - 111