zfs 02/2021, Kausalität und Zurechnungszusammenhang1 Vor ... / 2. Weitere Zurechnungskriterien

Um eine unerträgliche Ausweitung der Schadensersatzpflicht zu vermeiden, bedarf die Äquivalenztheorie der Einschränkung. Hierzu dienen die weiteren Zurechnungskriterien der Adäquanz des Kausalverlaufs und des Schutzzwecks der Norm.^[37]

[37] BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 127/11, VersR 2012, 1133, juris Rn 12; v. 11.1.2005 – X ZR 163/02, NJW 2005, 1420, juris Rn 15; v. 19.10.2016 – IV ZR 521/14, VersR 2016, 1492, juris Rn 15; v. 3.2.1976 – VI ZR 235/74, VersR 1976, 639, juris Rn 23; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn 25.

a) Adäquanz

Der Filter der Adäquanz dient der Ausgrenzung derjenigen Kausalverläufe, die dem Schädiger haftungsrechtlich billigerweise nicht mehr zugerechnet werden können.^[38] Im Ergebnis geht es darum, die Haftung für ganz unwahrscheinliche Kausalverläufe auszuschließen.^[39] Adäquat kausal ist eine Bedingung dann, wenn das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen.^[40] Bei der Beurteilung der Adäquanz ist auf eine objektive nachträgliche Prognose abzustellen, bei der neben den dem Schädiger bekannten Umständen alle einem optimalen Betrachter zur Zeit des Eintritts des Schadensereignisses erkennbaren Umstände zu berücksichtigen sind. Vorsätzlich herbeigeführte Schadensfolgen sind stets als adäquat zu bewerten.^[41]

Mit diesem Inhalt wirkt die Adäquanzlehre allerdings nur als recht grober Filter zur Beschränkung der Zurechenbarkeit.^[42] In der Praxis wird die Adäquanz selten verneint. So hat der BGH das Angebot eines zeitlich knapp bemessenen Alternativflugs nach Wegfall der vereinbarten Rückflugmöglichkeit noch als adäquat kausal für die Knieverletzung angesehen, die sich ein Fluggast bei dem Lauf durch die Abflughalle zuzog. Denn es liegt nicht außerhalb des zu erwartenden Verlaufs der Dinge, dass eine Fluggesellschaft nach dem Wegfall einer vereinbarten Rückflugmöglichkeit nach einem Ersatzflug sucht, für einen solchen die Zeit knapp wird, der betroffene Fluggast infolge von Hektik oder Unachtsamkeit stürzt und sich dabei verletzt.^[43]

Auch der Fußballfan, der im Stadion des 1. FC Köln einen Knallkörper gezündet und ihn auf den Unterrang der Nordtribüne geworfen hatte, berief sich ohne Erfolg auf die fehlende Adäquanz zwischen der Verletzung des Zuschauervertrags und der Verhängung einer Verbandsstrafe durch das Sportgericht des DFB. Es ist weder völlig unwahrscheinlich noch ungewöhnlich, dass Fußballclubs im Anschluss an Pyrotechnikvorfälle im Stadion Verbandsstrafen auferlegt werden.^[44]

Besser erging es dem Versender eines nächtlichen Telefaxes, der auf Ersatz der Heilungskosten für eine Katze in Anspruch genommen wurde. Die Katze hatte sich aufgrund des nächtlichen Hineilens des Empfängers zu seinem Telefaxgerät erschreckt und beim Sprung von ihrem Kratzbaum verletzt. Das Amtsgerichts Regensburg verneinte die Adäquanz zwischen der Versendung des nächtlichen Faxes und der Verletzung der Katze.^[45]

Mangels Adäquanz nicht zugerechnet wurde auch die Hirnblutung, die ein 21 Jahre alter Vermessungstechniker infolge der Erregung über die Bezeichnung als "kleiner Scheißer" erlitten hatte.^[46]

[38] BGH, Urt. v. 3.3.2016 – I ZR 110/15, NJW 2016, 3306, juris Rn 34; v. 4.7.1994 – II ZR 126/93, NJW 1995, 126, juris Rn 15; v. 27.1.1981 – VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259, juris Rn 13; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn 26.

[39] BGH, Urt. v. 3.2.1976 – VI ZR 235/74, VersR 1976, 639, juris Rn 25 "jenseits einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrenze"; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., Vorb v § 249 Rn 27; RGRK-BGB/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn 471.

[40] BGH, Urt. v. 3.3.2016 – I ZR 110/15, NJW 2016, 3306, juris Rn 34; v. 4.7.1994 – II ZR 126/93, NJW 1995, 126, juris Rn 15.

[41] BGH, Urt. v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299, juris Rn 39; v. 27.1.1981 – VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259 Rn 14.

[42] Angebot an Erfüllung statt, vgl. BGH, Urt. v. 11.1.2005 – X ZR 163/02, NJW 2005, 1420, juris Rn 16.

[43] BGH, Urt. v. 11.1.2005 – X ZR 163/02, NJW 2005, 1420, juris Rn 17.

[44] BGH, Versäumnisurteil v. 22.9.2016 – VII ZR 14/16, BGHZ 211, 375 Rn 12.

[45] NJW 2000, 1047.

[46] BGH, Urt. v. 3.2.1976 – VI ZR 235/74, VersR 1976, 639, juris Rn 23 f.

b) Schutzzweck der Norm

Die auf eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung abstellende Adäquanztheorie wird ergänzt durch das Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung (Primärverletzung) bzw. der geltend gemachte Sekundärschaden^[47] nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Rechtsgutsverletzung bzw. Schaden müssen in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein rein äußerlicher, gewissermaßen zufälliger Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten.^[48]

aa) An dem erforderlichen inneren Zusammenhang kann es fehlen, wenn zwar der ka...