OWiG § 74
Leitsatz
Das Amtsgericht ist verpflichtet, über einen bis zum Hauptverhandlungstermin eingegangenen Entbindungsantrag zu entscheiden. Wenn dies fehlerhaft unterblieben ist, besteht für eine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG eine Sperrwirkung. Darauf, ob das Faxschreiben der zuständigen Richterin vor ihrer Entscheidung vorgelegt worden ist oder nicht, kommt es hingegen nicht an
OLG Naumburg, Beschl. v. 9.6.2020 – 1 Ws 23/20
Sachverhalt
Gegen den Betr. ist eine Geldbuße von 160 EUR sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden. Dagegen hat der Betr. rechtzeitig Einspruch eingelegt. Diesen hat das AG verworfen, weil der Betr. trotz fehlender Entbindung vom persönlichen Erscheinen der Hauptverhandlung ohne Entschuldigung ferngeblieben sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betr. Mit seiner Verfahrensrüge beanstandet er, das AG habe seinen per Fax-Schreiben am Terminstag bei Gericht eingegangenen Antrag, ihn vom persönlichen Erscheinen zu entpflichten, bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Das OLG Naumburg hat auf die Rechtsbeschwerde des Betr. das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"… Die nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässig erhobene Rechtsbeschwerde führt aufgrund der gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge einer Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das AG."
Das AG wäre verpflichtet gewesen, über den per Fax-Schreiben zuvor eingegangenen Entbindungsantrag zu entscheiden. Da dies fehlerhaft unterblieben ist, bestand für eine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG eine Sperrwirkung. Darauf, ob das Faxschreiben der zuständigen Richterin vor ihrer Entscheidung vorgelegt worden ist oder nicht, kommt es hingegen nicht an (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 25.8.2015 – 2 Ws 163/15; OLG Bamberg, Beschl. v. 23.5.2017 – 3 Ss OWiG 654/17 Rn 5, 6; BayObLG, Beschl. v. 15.4.2019 – 202 ObOWi 400/19, Rn 4-7).
Der den Verfahrensmangel begründende Umstand – hier der rechtszeitige Eingang des Fax Schreibens vor der Verwerfungsentscheidung –, muss nicht bloß glaubhaft gemacht, sondern erwiesen sein, wobei verbleibende Zweifel zu Lasten des Betr. gehen. Für den Eingang eines Fax-Schreibens ist eine erfolgreiche Übermittlung der Signale auf dem Empfängergerät erforderlich. Deshalb ist der vom Verteidiger vorgelegte “OK-Vermerk', der lediglich das ordnungsgemäße Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die Übermittlung der anschließenden Fax-Signale belegt, für die Annahme eines Eingangs des Fax-Schreibens für sich genommen noch nicht ausreichend. Es ist jedoch in der Rspr. anerkannt (vgl. Meyer-Goßner, Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 337, Rn 12 m.w.N.), dass ein vollständiger Nachweis des gerügten Verfahrensverstoßes dann nicht zu fordern ist, wenn die entstandenen Beweisschwierigkeiten aus der Sphäre der Justizbehörden stammen und auf deren schuldhaften Verhalten beruhen. So verhält es sich hier. Denn das AG hat es zu der hier fraglichen Zeit verabsäumt, ein Fax-Eingangsjournal, welches näheres zum Eingang des Fax-Schreibens hätte belegen können, zu führen bzw. die entsprechenden Journale aufzubewahren. Hinzukommt, dass auch nach den eingeholten Auskünften der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin nicht auszuschließen ist, dass das Fax-Schreiben, so wie vom Verteidiger vorgetragen, beim AG einging.“
3 Anmerkung:
Zur Thematik vgl. auch KG zfs 2020, 470.
zfs 2/2021, S. 112 - 113