OWiG § 77 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
Macht der Betroffene geltend macht, dass als mögliche Fahrer in Betracht kommende Personen ihm ähneln und erscheint dies aufgrund einer engen verwandtschaftlichen Bindung auch denkbar, darf das Amtsgericht nicht allein auf einen Vergleich des Lichtbildes mit dem Betroffenen abstellen.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 5.10.2021 – 2 Ss(OWi) 211/21
Sachverhalt
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 200 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das OLG Oldenburg wird das Urteil des Amtsgerichts teilweise aufgehoben und zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] Soweit es die gefahrene Geschwindigkeit betrifft, lässt das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen. Die insoweit getroffenen Feststellungen konnten deshalb aufrechterhalten werden. Im Übrigen unterliegt das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aber der Aufhebung.
Die Aufklärungsrüge erweist sich zumindest insoweit als erfolgreich, als das Amtsgericht nicht von der Vernehmung der beiden Zeugen, die der Betroffene als mögliche Fahrer benannt und dabei geltend gemacht hatte, dass sie im Aussehen dem Betroffenen in wesentlichen Gesichtsmerkmalen ähneln würden, absehen durfte. Zwar teilt der Senat die Einschätzung des Amtsgerichtes, dass das bei der Messung gefertigte Lichtbild zur Identifizierung grundsätzlich geeignet ist. Da der Betroffene aber geltend macht, dass die als mögliche Fahrer in Betracht kommenden Personen dem Betroffenen ähneln -was aufgrund der engen verwandtschaftlichen Bindung auch denkbar erscheint- durfte das Amtsgericht nicht allein auf einen Vergleich des Lichtbildes mit dem Betroffenen abstellen. Dies gilt hier insbesondere deshalb, weil das Messfoto – wie auch das Amtsgericht feststellt – eine gewisse Unschärfe aufweist: "Insbesondere wenn der Betroffene einen Dritten namentlich als Fahrer benennt, muss das Gericht in aller Regel diesen als Zeugen laden und gegebenenfalls vernehmen. Die bei der Verkehrsüberwachung zur Identifizierung des Täters gefertigten Lichtbilder sind nicht immer so klar und deutlich, dass es ausgeschlossen erscheint, eine andere Person als der Betroffene sei gefahren. Gerade weil das Gericht bei Anwesenheit des benannten Zeugen feststellen kann, ob dieser als Fahrer in Betracht kommt, ist die Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG im Einzelfall nur bei Vorliegen besonderer Umstände abzulehnen. Derartige Umstände können zum Beispiel gegeben sein, wenn das Lichtbild von sehr guter Qualität ist, die auf dem Lichtbild abgebildete Person dem erschienenen Betroffenen "wie ein Spiegelbild" gleicht und der Betroffene nicht geltend macht, dass der benannte Zeuge ihm täuschend ähnlich sieht." (BayObLG NJW 1997,1864)
Soweit das Amtsgericht die Verurteilung des Betroffenen auch auf die weiteren von ihm genannten Umstände gestützt hat, führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. So ist Halter des Fahrzeuges nicht der Betroffene selbst, sondern eine GmbH. Aus der Gesprächsnotiz ergibt sich lediglich, dass die Sachbearbeiterin des Landkreises den Eindruck gehabt habe, der Betroffene – unterstellt er war der Anrufer – sei selbst der Fahrer gewesen. Auch die Benennung eines polnischen Staatsangehörigen als möglicher Fahrer muss nicht zwingend darauf hindeuten, dass gerade der Betroffene Fahrzeugführer gewesen ist. Vielmehr könnte dies auch den Zweck gehabt haben, einen Familienangehörigen vor einer Verurteilung zu bewahren.
Nach Vernehmung der Zeugen, in deren Rahmen das Amtsgericht natürlich auch einen optischen Eindruck von ihnen gewinnt, mag es beurteilen, ob es die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich hält. Ein dahingehendes Präjudiz ist mit dieser Entscheidung ausdrücklich nicht verbunden.
Soweit das Amtsgericht die Ablehnung des Beweisantrages auch auf § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG gestützt hat, fehlt es an ausreichenden Ausführungen dazu, dass die Vernehmung der Zeugen eine Aussetzung (nicht nur Unterbrechung) der Hauptverhandlung erforderlich gemacht hätte.
Im Hinblick auf den Rechtsfolgenausspruch weist der Senat darauf hin, dass aufgrund der Voreintragungen, zumindest so, wie sie im Urteil dargestellt sind, die Verhängung eines Regelfahrverbotes nicht in Betracht kommt.
Die vom Amtsgericht gegebene Begründung trägt ebenfalls nicht: Der hier zur Aburteilung gekommene Verkehrsverstoß (22.6.2020) erfolgte nämlich nicht innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft (27.1.2021) der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h.
Im Umfang der Aufhebung war die Sache daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Mitgeteilt von der Pressestelle des OLG Oldenburg
zfs 2/2022, S. 109 - 110