BGB § 662 § 675; VVG § 86
Leitsatz
1. Ein Rechtsanwalt hat bei dem Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs auf eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten zu achten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen.
2. Ein Rechtsanwalt muss bei Abschluss eines die Heilbehandlungskosten umfassenden Abfindungsvergleichs beachten, dass seinen Mandanten das versicherungsvertragliche Aufgabeverbot trifft. (Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 16.12.2021 – IX ZR 223/20
1 Sachverhalt
Die Kl. nimmt die Bekl. aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz aufgrund anwaltlicher Pflichtverletzung in Anspruch. Die Kl. ist der private Krankenversicherer des am 5.3.2021 verstorbenen VN. Dieser nahm die Fachärztin Dr. S. in einem Arzthaftungsprozess wegen eines Aufklärungsfehlers insbesondere auf Schmerzensgeld und Ersatz des Haushaltsführungsschadens, des Verdienstausfalls sowie der Pflegemehr- und Fahrtkosten in Anspruch. In dem Verfahren wurde er durch einen in der Sozietät der Bekl. angestellten Rechtsanwalt vertreten. Am 12.1.2011 erging ein Grund- und Teilurteil, durch das dem VN ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 EUR zuerkannt und ausgesprochen wurde, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Weiter wurde festgestellt, dass die beklagte Ärztin verpflichtet ist, dem (dortigen) Kl. alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, welche aus der fehlerhaften Behandlung im Februar 2004 resultieren und soweit der Kl. sie nicht […] gesondert geltend macht, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind beziehungsweise übergehen werden.
Nach Eintritt der Rechtskraft schlossen die Ärztin und der VN am 5.11.2012 einen Vergleich, der den Rechtsstreit beendete. Danach hatte die Ärztin an den VN weitere 580.000 EUR zu zahlen. Mit Erfüllung der Zahlungspflicht sollten alle Ansprüche des VN aus dem streitbefangenen Behandlungsverhältnis, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind, abgegolten und erledigt sein, seien sie bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, materiell oder immateriell.
Die Kl. hat vorgetragen, sie habe ihrem VN nach Vergleichsschluss erhebliche Behandlungskosten erstattet, für die sie aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs die Ärztin und deren Haftpflichtversicherer nicht in Regress nehmen könne. Der in der Sozietät der Bekl. angestellte Rechtsanwalt habe es schuldhaft versäumt, einen Vorbehalt für zukünftig übergehende Forderungen in den Vergleich aufzunehmen.
2 Aus den Gründen: "…
[6] Nach dem durch das Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt haben die Bekl. ihnen obliegende Pflichten, die dem VN der Kl. gegenüber bei Abschluss des Vergleichs in dem Arzthaftungsprozess bestanden, zwar verletzt. Ein Schaden ist hierdurch aber nicht verursacht worden. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des BG, der Anspruch des VN der Kl. auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sei durch den geschlossenen Vergleich abgegolten worden.
[7] 1. Der in der Sozietät der Bekl. angestellte Rechtsanwalt hat die ihm im Zusammenhang mit dem in dem Arzthaftungsprozess abgeschlossenen Abfindungsvergleich obliegenden Pflichten dem VN der Kl. gegenüber verletzt.
[8] a) Ein Rechtsanwalt, der bei einer Vertragsgestaltung mitwirkt, hat bei der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut zu sorgen (vgl. BGH, NJW 2002, 1048, 1049). Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte Entscheidungen in seinen Rechtsangelegenheiten zu ermöglichen (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 1594 Rn 14 m.w.N.). Im Rahmen von Verhandlungen zum Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend und nach allen Richtungen wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Der Rechtsanwalt muss den Mandanten auf Vor- und Nachteile des beabsichtigten Vergleichs hinweisen und im Einzelnen darlegen, welche Gesichtspunkte für und gegen den Abschluss des Vergleichs sprechen (vgl. BGH, NJW 2016, 3430 Rn 8 m.w.N.). Sieht der Vergleich vor, dass mit dessen Abschluss alle gegenseitigen Forderungen der Parteien erledigt sind (sogenannter Abfindungsvergleich), bestehen für den Auftraggeber besondere Risiken. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Abgeltung auch auf zukünftige, zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses noch unbekannte Schäden erstreckt. Der Rechtsanwalt hat bei Abfindungsvergleichen darauf zu achten, dass tatsächlich alle Ansprüche in den Vergleich einbezogen werden, die abgefunden und erledigt sein sollen (vgl. Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 5. Aufl., § 12 Rn 49). Wegen der Eigenschaft eines Vergleichs als materiell-rechtlicher Vertrag sind insbesondere auch die Pflichten des Rechtsanwalts bei der Gestaltung von Verträgen zu beachten (vgl. Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Pap...