StVG § 25
Leitsatz
1. Ist ein konkreter Rechtsmittelantrag nicht gestellt, ist der Umfang der Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung seitens der Staatsanwaltschaft durch Auslegung des der Rechtsmittelbegründung zu entnehmenden Angriffsziels zu ermitteln (Anschl. an BGH NStZ-RR 2022, 201).
2. Die mit einem Fahrverbot verbundenen Einschränkungen des Kindesumgangsrechts sind, will das Tatgericht in ihnen eine außergewöhnliche Härte sehen und deshalb von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen, positiv festzustellen.
BayObLG, Beschl. v. 7.11.2023 – 201 ObOWi 1115/23
1 Sachverhalt
Mit Bußgeldbescheid wurden gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 64 km/h eine Geldbuße in Höhe von 600 EUR sowie ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten mit Schonfrist festgesetzt. Nach Einspruch verurteilte das AG Lichtenfels den Betroffenen zu einer Geldbuße von 1.200 EUR. Von der Verhängung des Fahrverbotes hat es demgegenüber abgesehen. Das BayObLG hat auf die Rechtsbeschwerde der StA das Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 3 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige sowie konkludent auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erweist sich als begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde der StA ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, denn nach dem insoweit maßgeblichen Sinn ihrer Rechtsbeschwerdebegründung hat sie den Schuldspruch nicht angefochten. Eine Überprüfung des Urteils hinsichtlich der Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen und zur Schuldform ist dem Senat von daher verwehrt.
Die StA hat keinen konkreten Rechtsbeschwerdeantrag gestellt und keine bestimmte Rüge erhoben, was aber der Auslegung ihres Vorbringens als Sachrüge nicht entgegensteht, solange sich aus ihrem Vorbringen eindeutig ergibt, dass und inwieweit sie die Nachprüfung des Urteils in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl. § 344 Rn 13, 14).
Hinsichtlich des Angriffsziels eines Rechtsmittels ist der Sinn der Rechtsmittelbegründung maßgeblich. Für Rechtsbeschwerden der Staatsanwaltschaft sind hierbei die Nrn. 156, 293 Abs. 1 RiStBV in den Blick zu nehmen. Hiernach ist die StA verpflichtet, jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel zu begründen. Darüber hinaus soll die Staatsanwaltschaft ihre Revision/Rechtsbeschwerde stets so rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe sie ihre Rechtsauffassung stützt (Nrn. 156 Abs. 2, 293 Abs. 1 RiStBV). Dies entspricht auch dem Zweck der Vorschrift des § 345 Abs. 2 StPO, die der sachkundigen Zusammenfassung der mit dem Rechtsmittel geführten rechtlichen Angriffe dient (so für das Revisionsverfahren BGH NStZ-RR 2022, 201).
Die Ausführungen der StA beschränken sich vorliegend auf die Beanstandung, dass das Amtsgericht nicht von der Verhängung eines Fahrverbots hätte absehen dürfen. Hieraus ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft das Urteil in sachlich-rechtlicher Hinsicht und nur hinsichtlich des Absehens von einem Fahrverbot für rechtsfehlerhaft hält und es allein insoweit anfechten will. Wegen der Wechselwirkung von Geldbuße und Fahrverbot bezieht sich die Beschränkung allerdings nicht allein auf die Nichtverhängung eines Fahrverbots, sondern auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt.
2. Die Rechtsbeschwerde der StA ist begründet, weil die Erwägungen des AG ein Absehen von dem nach §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV, Nr. 11.3.9 BKat regelmäßig zu verhängenden Fahrverbot von zwei Monaten nicht rechtfertigen.
Das AG hat die Nichtanordnung eines Fahrverbots unter gleichzeitiger Verdopplung der Regelgeldbuße damit begründet, dass der Betroffene Vater zweier minderjähriger, bei der Kindesmutter in B. (je nach Fahrtstrecke) zwischen 103 und 128 km vom Wohnort des Betroffenen entfernt lebender Kinder ist. Nach einer gerichtlichen Umgangsregelung habe er das Recht und die Pflicht die Kinder jeden Donnerstag um 15:00 Uhr im Kindergarten abzuholen und sonntags um 18:00 Uhr zur Mutter zurückzubringen. Die Fahrzeit zwischen dem eigenen Wohnort und dem Wohnort der Kinder betrage mit dem Pkw einfach ca. eineinhalb Stunden; mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrage sie mehrere Stunden. Die Fahrt sei zudem nicht beliebig realisierbar, sondern von den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel abhängig. Fixe Übergabezeiten ließen sich dadurch nicht einhalten. Eine vorübergehende Abänderung der Umgangsregelung für die Kinder oder verlängerte Fahrzeiten stellten für diese eine erhebliche Belastung dar. Angesichts eines frei verfügbaren Einkommens von knapp über 1.000 EUR monatlich sei die Inanspruchnahme eines Taxiunternehmens für die Fahrt dem Betroffenen finanziell nicht möglich. Die Inanspruchnahme eines Kredits ersch...