OWiG § 10; StVO § 3
Leitsatz
1. Kennt der Täter die höchstzulässige Geschwindigkeit im konkreten Fall nicht und geht er von einer unbeschränkten Geschwindigkeit aus oder von einer höheren zulässigen Geschwindigkeit, welche die Differenz der festgestellten und der vermeintlichen Höchstgeschwindigkeit gering erscheinen lässt, so kann ggf. nur fahrlässiges Handeln in Betracht kommen.
2. Trotz der auf Autobahnen fehlenden gesetzlichen Beschränkung der Geschwindigkeit ist es im Einzelfall möglich, dass sich aufgrund der ohne weiteres erkennbaren äußeren Situation die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung in einer Weise aufdrängt, dass kognitives und voluntatives Vorsatzelement zu bejahen sind.
3. Erfahrungsgemäß ist im Baustellenbereich auf Autobahnen die höchstzulässige Geschwindigkeit auf Werte zwischen 40 und 100 km/h beschränkt. Ein Betroffener kann danach nur über die Höhe der für ihn geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung geirrt haben. Ein solcher Irrtum berührte die Vorsatzzurechnung dann nicht, selbst wenn der Betroffene die für ihn geltende Beschilderung nicht wahrgenommen hätte, aber er (erkanntermaßen) die höchstzulässige Geschwindigkeit in einem Baustellenbereich immer noch deutlich überschritten hätte. (Leitsatz der Redaktion)
OLG Köln, Beschl. v. 12.10.2023 – 1 ORBs 273/23
1 Sachverhalt
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 2.000 EUR und einem Fahrverbot von zwei Monaten mit Schonfrist verurteilt. Der Betroffene befuhr den mittleren der drei Fahrstreifen der BAB 4 mit seinem Pkw. Er überschritt im – "nicht zuletzt durch Fahrbahnmarkierungen" zu erkennenden – Baustellenbereich die durch Zeichen 274 angeordnete höchstzulässige Geschwindigkeit von 60 km/h um – bereinigt – 101 km/h.
Die Annahme, der Betroffene habe die höchstzulässige Geschwindigkeit (bedingt) vorsätzlich überschritten, hat das Amtsgericht wie folgt begründet: "Wesentliches Indiz für den jedenfalls bedingten Vorsatz des Betroffenen ist die deutliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 168 %, nämlich um 101 km/h. Das Gericht geht insoweit von dem in der Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz aus, nach welchem einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen bleibt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten wird. Dem steht hier nicht entgegen, dass sich um eine Fahrt auf einer BAB handelte, auf denen regelmäßig keinerlei Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Denn dass für den konkreten Streckenabschnitt eine außerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung galt, war für den Betroffenen nicht nur aufgrund der festgestellten Beschilderung, sondern bereits aufgrund der optischen Einrichtung als Baustellenbereich offenkundig. Dass der Betroffene diese nicht als Anlass für eine erhöhte Sorgfalt bei der Beobachtung der wechselnden Beschilderung nahm, sondern vielmehr der nach eigener Einlassung maßgeblichen Erwartung nachgab, seine nicht mehr weit entfernte Heimatadresse schnell zu erreichen, hat das Gericht als ausreichendes Indiz für Tatvorsatz gesehen."
Das OLG Köln hat das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und insoweit die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 OWiG statthafte, Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsbeschwerde des Betroffenen erzielt in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet.
1. Soweit der Betroffene – der Sache nach – das tatrichterliche Verfahren beanstandet, dringt er damit nicht durch. Seine Rügen sind jedenfalls unbegründet:
a) Das gilt zunächst für die Beanstandung, eine für den Betroffenen geltende Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h mit Zeichen 274 zu § 41 StVO werde durch die eingeführten Unterlagen – namentlich die Dienstanweisung für die Messstelle und den Beschilderungsplan (vom Betroffenen unzutreffend als "Bauphasenplan" bezeichnet) – nicht belegt.
Mit der sogenannten "Inbegriffsrüge" (Rüge der Verletzung des § 261 StPO) kann geltend gemacht werden, eine in die Hauptverhandlung eingeführte Urkunde habe nicht den ihr im Urteil zugeschriebenen Inhalt (allgemein: Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, § 261 Rn 44). Dieser Rüge bleibt hier der Erfolg versagt, weil sich den genannten Unterlagen jedenfalls in einer Gesamtschau entnehmen lässt, dass die festgestellte Geschwindigkeitsbeschränkung auch nach Verlassen des Autobahnkreuzes Köln-Ost für den Betroffenen angeordnet war.
b) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Tatgericht hätte sich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung überzeugen müssen, dringt auch das nicht durch:
aa) Durch die auf einer Seite abgeschrägte Form des auf dem Messbild befindlichen Auswerterahmens musste sich das Tatgericht ...