I. Einleitung
Dem Anwalt in Verkehrssachen ist die Situation vertraut: der Mandant ist – sofern ihm dies nachgewiesen werden kann – zu schnell gefahren, und die Ordnungswidrigkeitenakte geht im Büro des Verteidigers ein. Oftmals enttarnt diese sich dann als vermeintlich "überzeugend". Neben der Eichurkunde, wonach das Messgerät im Tatzeitpunkt selbstverständlich gültig geeicht war, befindet sich ordentlich abgeheftet dann meist ein Vordruck – unterschrieben vom Messbeamten – über die (ordnungsgemäße) Durchführung der Messung. Aus diesem ergibt sich oftmals, dass die Messung – immerhin urkundlich belegt durch die Unterschrift des Messbeamten – selbstverständlich nach den Vorgaben des Herstellers durchgeführt wurde, sämtliche vorgeschriebenen Tests ordnungsgemäß durchgeführt wurden, der Messbeamte an Schulungen teilgenommen hat und vieles mehr. Sprich: die Messung war völlig in Ordnung. Nachdem auch die entsprechende Fachliteratur keine Auffälligkeiten am verwendeten Messgerät beschreibt, erscheint ein Bestreiten der Ordnungsmäßigkeit der Messung von vornherein aussichtslos, zumindest fragwürdig. Möglicherweise schließt sich später noch ein Telefonat mit dem zuständigen Richter an, anlässlich dessen dem Anwalt erklärt wird, die Messstelle wäre aus einer Vielzahl von Verfahren "bestens bekannt" und sei noch niemals von einem Anwalt "geknackt" worden. Eine Einspruchsrücknahme werde der Verteidigung dringend nahe gelegt, um weitere, unnötige Kosten und Ärger des Betroffenen zu vermeiden.
II. Der Sachverständigenbeweisantritt
Der Anwalt erwägt einen Beweisantritt durch Sachverständigengutachten. Dieser stellt die Verteidigung für den Fall der Verwendung eines Messgeräts, das von der obergerichtlichen Rechtsprechung als so genanntes "standardisiertes Verfahren" anerkannt ist, vor ein Problem. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bedarf der Beweisantritt bei derartigen Messverfahren konkreter Anhaltspunkte, wonach die Messung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, andernfalls kann der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt werden, weil dieses zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Das Gericht kann ohne Weiteres dann entscheiden.
III. Die Richtlinien der Bundesländer für die Geschwindigkeitsüberwachung
Bei der Prüfung, ob konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorhanden sind, sollten die Richtlinien zur Geschwindigkeitsmessung der jeweiligen Bundesländer nicht vernachlässigt werden. Zwar haben diese Richtlinien nach allgemeiner Ansicht keine unmittelbare Außenwirkung bzw. binden lediglich intern die Verwaltung, ein Verstoß gegen diese macht die Messung als solche auch nicht unverwertbar. Verstöße gegen die jeweiligen Richtlinien finden jedoch im Wege der Einzelfallwürdigung einer Geschwindigkeitsüberschreitung Berücksichtigung. So kann beispielsweise im Rahmen der Prüfung der Pflichtwidrigkeit des Vorwurfs ein Verstoß gegen die Richtlinien die Annahme eines "Augenblicksversagens" nahelegen bzw. das Verschulden des Betroffenen im Falle eines solchen geringer zu bewerten sein oder zu einer Erhöhung des Toleranzabzugs führen. Es kann sogar eine Abwägung verschiedener Vorschriften innerhalb einer Richtlinie geboten sein, so beispielsweise zwischen dem Gebot, einen Mindestabstand der Messung zur Geschwindigkeitsbeschränkung einzuhalten, andererseits der Möglichkeit, eine Messung an besonders gefahrträchtigen Stellen (Gefahrpunkten wie Schulen) vorzunehmen.
IV. Argumentationshilfen
Bei einem festgestellten Verstoß gegen die entsprechende Verwaltungsrichtlinie können unter Verwendung der "üblichen" Argumentation positive, zugunsten des Mandanten sprechende Umstände angeführt werden, so beispielsweise: fehlende konkrete Hinweise auf eine geschwindigkeitsbeschränkte Zone, fehlende beiderseitige Beschilderung, sonstige (Nicht-) Erkennbarkeit des Verkehrsschildes, bauliche Maßnahmen oder sonstige (fehlende) Bebauung, die auf Innerörtlichkeit schließen lassen könnte, (fehlender) Geschwindigkeitstrichter, ortsunkundiger Fahrer usw. Im Zusammenhang mit dem festgestellten Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften kann dies zu einer Einstellung des Verfahrens führen. Dogmatisch betrachtet kann ein Verstoß gegen die Geschwindigkeitsrichtlinien die Annahme eines Ausnahmefalls vom Regelfall begründen. Nach BayObLG scheint sogar eine Umkehr des Regel-Ausnahmeverhältnisses in Betracht zu kommen. Danach muss der Tatrichter für die Verhängung eines Regelfahrverbots seinerseits in den Urteilsgründen darlegen, welche Umstände ein Unterschreiten des Mindestabstands von ca. 200 m zwischen Ortsschild und Messung rechtfertigen oder warum trotz Nichteinhaltens der Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung die Verhängung eines Fahrverbots gerechtfertigt ist. Ebenfalls nach BayObLG soll eine Messung entgegen den Richtlinien für...