GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
Leitsatz
Einen Versicherer trifft keine Pflicht, mit einem behinderten Antragsteller einen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.12.2007 – 12 U 117/07
Sachverhalt
Der 1968 geborene Kläger verlangt von der Beklagten Schadenersatz wegen Versagung des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Kläger leidet seit frühester Kindheit an einer infantilen Cerebralparese vom Typ einer spastisch athetotischen Tetraparese. Dabei handelt es sich um eine frühkindliche Hirnschädigung mit dyston-athetotischen Bewegungsstörungen der Extremitäten. 1996 erlitt der Kläger bei einem Verkehrsunfall eine HWS-Distorsion und eine LWS-Distorsion im Rahmen eines Akzelerationstraumas. Als Folge des Unfalls leidet der Kläger an einer chronifizierten und nach derzeitigen Erkenntnissen nicht heilbaren Folge eines Schleudertraumas in Form eines Torticollis-spasmodicus, die mit der Cerebralparese nicht in Zusammenhang steht.
Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin des Versicherers, bei dem der Kläger 2002 eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit Versicherungsbeginn 1.8.2002 und einer für den Versicherungsfall garantierten monatlichen Berufsunfähigkeitsrente von 1.022,58 EUR beantragt hatte. Auf Grund des Antrags wurde dem Kläger vorläufiger Versicherungsschutz gewährt. Mit Schreiben vom 23.1.2003 wurde der Abschluss der beantragten Berufsunfähigkeitsversicherung abgelehnt. Ausschlaggebend war die Diagnose der infantilen Cerebralparese, die nach den damals geltenden Risikoprüfungsgrundsätzen des Versicherers zur Ablehnung des Antrags führen musste.
Der Kläger arbeitete bis zum 5.8.2003 als Account Manager überwiegend sitzend am Computer. Er litt unter einer zunehmend starken Spastik im Bereich der Schulter-Nacken-Region und des linken Armes mit dauernden Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule. Fein- und grobmotorische Bewegungen mit der linken Hand und leichte Arbeiten mit der rechten Hand fielen ihm zunehmend schwer. Er gab deshalb im August 2003 seinen Arbeitsplatz auf. Seither bezieht er kein Einkommen mehr aus eigener Erwerbstätigkeit. Dem Kläger wurden auf der Grundlage von Rentenbescheiden der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Renten gezahlt.
Aus den Gründen
“ … Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadenersatz nicht zu.
1. Wie vom LG zutreffend ausgeführt, traf die Rechtsvorgängerin der Beklagten kein Kontrahierungszwang unter dem Gesichtspunkt des Innehabens einer Monopolstellung. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war – die Berufsunfähigkeitsversicherung betreffend – nur eine Anbieterin unter vielen. Im Übrigen wäre Voraussetzung für einen Kontrahierungszwang die Unentbehrlichkeit des monopolistischen Gutes für das Gemeinwohl und die durch sein Vorenthalten bedingte Gefährdung notwendiger Lebensbedürfnisse oder Belange des Einzelnen und der Allgemeinheit (Staudinger/Oechsler, BGB, 2003, § 826 Rn 430). Eine so grundlegende Bedeutung für die Lebensgestaltung des Einzelnen kommt der Berufsunfähigkeitsversicherung, für die der Gesetzgeber auch im Rahmen der Neuregelung des Versicherungsvertragsrechts (§§ 172 ff. VVG n.F.) einen Kontrahierungszwang nicht anordnet, nicht zu. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist hinzunehmen und kann nicht über eine Ausdehnung von § 826 BGB übergangen werden.
2. Weiter zutreffend verneinte das LG einen Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB aus dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.
Allerdings wird die Auslegung des Begriffs der guten Sitten durch die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte in der Privatrechtsordnung mit beeinflusst (Oechsler, a.a.O., Rn 55). Die Grundrechte wirken auf das Verhältnis Privater zueinander aber nur mittelbar. Der Versicherer konnte bei seiner Entscheidung, einen Vertrag mit dem Kläger wegen seiner Behinderung nicht abzuschließen, sachliche Gesichtspunkte für seine ablehnende Entscheidung heranziehen und sich im gegebenen Fall zulässig auf solche Gesichtspunkte stützen. Sowohl das Bestreben, die Risiken für die Versichertengemeinschaft berechenbar zu halten, als auch die Orientierung an den Vorgaben des Rückversicherers legitimierten die Entscheidung in einer Weise, die vor dem Grundgesetz Bestand hat. Der Versicherer war nicht verpflichtet, dem Kläger Versicherungsschutz zu einer erhöhten Prämie oder mit einer Ausschlussklausel anzubieten.
Das gilt auch, soweit der Kläger meint, der Versicherer habe auf der Grundlage der nach § 72 SGB IV und der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Statistik in der Rentenversicherung erstellten Übersichten eine individuelle Risikoprognose für ihn erstellen müssen. Wie vom LG zutreffend ausgeführt, entspricht das Versichertenkollektiv der gesetzlichen Rentenversicherung nicht dem Kollektiv der Versicherungsnehmer privater Berufsunfähigkeitsversicherungen.
3. Ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB folgt auch nicht aus europarechtlichen Gesichtspunkten. Über das gemeinschaftsrechtliche Gebot, das Gemeinschaftsrecht bei der...