BGB § 227
Leitsatz
1. Bei mehreren Schädigungshandlungen trifft den Verteidiger für jede Einzelne die Beweislast, dass die Voraussetzungen einer Notwehrlage vorlagen.
2. Ist streitig, welche Schadensfolgen die einzelnen Verletzungshandlungen nach sich gezogen haben, und sind nur einige dieser Handlungen durch Notwehr gerechtfertigt, muss der Geschädigte beweisen, dass gerade die Verletzungshandlung für die Entstehung seines Schadens ursächlich war, deretwegen sich der Verteidiger nicht auf Notwehr berufen kann.
BGH, Urt. v. 30.10.2007 – VI ZR 132/06
Sachverhalt
Der Kläger verlangt von dem Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen der Folgen einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien.
Am 7.9.2003 gegen 3 Uhr versetzte der Beklagte dem Kläger während eines Straßenfestes mehrere Faustschläge ins Gesicht, durch die der Kläger Frakturen am Unterkiefer erlitt. Über den Tathergang im Einzelnen streiten die Parteien.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie Ersatz seines materiellen Schadens. Zudem beantragt er, die Ersatzpflicht des Beklagten für sämtliche ihm aus dem Schadensereignis noch entstehenden zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden festzustellen, soweit Ersatzansprüche nicht auf Dritte oder auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Das LG hat dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 EUR zuerkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat dem Kläger weitere 800 EUR Schmerzensgeld zuerkannt und die weiter gehende Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter, soweit das Berufungsgericht zu seinem Nachteil erkannt hat.
Aus den Gründen
[5] “I. Nach den Feststellungen des LG, die das Berufungsgericht seiner Beurteilung zu Grunde legt, sind die Parteien bei dem fraglichen Vorfall im Gedränge leicht gegeneinander gestoßen. Der Kläger habe sich beim weitergehen abfällig über den Beklagten geäußert und “Scheiß Türke’ sowie “Du kannst ja nicht mal richtig deutsch’ gesagt, woraufhin der Beklagte dem Kläger nachgegangen sei und ihn zur Rede gestellt habe. Es sei zu einer sich zuspitzenden verbalen Auseinandersetzung gekommen. In deren Verlauf habe der Beklagte dem Kläger die Baseball-Kappe vom Kopf geschlagen. Hierauf habe der Kläger den Beklagten einige Sekunden lang am Hals gewürgt, woraufhin der Beklagte den Kläger weggeschubst habe. Sodann sei der Kläger mit geballten Fäusten auf den Beklagten zugelaufen. Um diesen Angriff abzuwehren, habe der Beklagte dem Kläger drei Mal ins Gesicht geschlagen, wodurch der Kläger zu Boden gegangen sei. Obwohl der Beklagte die Kampfunfähigkeit des Klägers erkannt habe, habe er den am Boden liegenden Kläger nochmals bis zu drei Mal geschlagen.
[6] Das Berufungsgericht hat die drei ersten Schläge in das Gesicht des Klägers als nach § 227 BGB gerechtfertigt angesehen und die Haftung des Beklagten für die späteren Schläge bejaht. Es teilt allerdings die Beurteilung des LG, es könne nicht festgestellt werden, durch welche Schläge die Verletzungen des Klägers und der von ihm behauptete materielle Schaden verursacht worden seien. Diese Ungewissheit gehe zu Lasten des Klägers, den insoweit die Beweislast treffe. Wegen der gegen den kampfunfähig am Boden liegenden Kläger geführten Schläge sei ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 1.300 EUR angemessen. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil für solche Fälle die Frage der Beweislast höchstrichterlich noch nicht geklärt sei.
[7] II. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
[8] 1. Nicht durchgreifend ist die Rüge der Revision, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts lasse wesentliche Umstände unberücksichtigt und sei widersprüchlich. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und nur eingeschränkt daraufhin zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinander gesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senat, Urt. v. 1.10.1996, NJW 1997, 796, 797 und v. 14.10.2003, NJW-RR 2004, 425). Derartige Rechtsfehler weist das angegriffene Urteil nicht auf.
[9] Soweit die Revision meint, die Beweiswürdigung habe wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen, weil das Berufungsgericht die im Strafverfahren protokollierten Aussagen des Beklagten sowie des vom LG als Zeugen vernommenen D F nicht in seine Würdigung einbezogen habe, zeigt sie nicht auf, dass insoweit in den Tatsacheninstanzen ein Beweisantritt erfolgt ist. Zudem kann sich das Gericht nach § 540 Abs. 1 ZPO auf die wesentlichen Gesichtspunkte der Begründung beschränken, sodass sich nicht alleine aus der fehlenden Auseinandersetzung mit einem einzelnen Gesichtspunkt eine lückenhafte Beweiswürdigung ergibt. Soweit die Revision rügt, die Feststellungen der Vorinstanzen seien widersprüchlich, weil sie den Beginn...