ZPO § 4 Abs. 1
Leitsatz
Die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten sind als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen, soweit der geltend gemachte Hauptanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
BGH, Beschl. v. 4.12.2007 – VI ZB 73/06
Sachverhalt
"Die Klägerin hatte den Beklagten zu 1 als Fahrer und die Beklagte zu 2 als Haftpflichtversicherung des Pkw aus einem Verkehrsunfall auf Zahlung von 3.176,65 EUR nebst Zinsen sowie von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 186,82 EUR in Anspruch genommen. Die Klageschrift war beiden Beklagten am 22.12.2005 zugestellt worden. Bereits am 2.12.2005 hatte die Beklagte zu 2 der Klägerin einen Betrag von 2.700,16 EUR gezahlt. Hieraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das AG Chemnitz hat in seinem Urteil festgestellt, dass der Rechtsstreit in Höhe der gezahlten 2.700,16 EUR erledigt sei und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin die Zahlung restlicher 476,49 EUR nebst Zinsen sowie der außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 186,82 EUR begehrt. Das LG Chemnitz hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die erforderliche Berufungssumme von 600,01 EUR nicht erreicht sei. Die außergerichtlichen Anwaltskosten seien nämlich Nebenforderungen i.S.d. § 4 Abs. 1 Hs 2 ZPO und deshalb bei der Berufungssumme nicht zu berücksichtigen."
Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.
Aus den Gründen
“ … [4] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, da im vorliegenden Fall die vorprozessualen Kosten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts streitwerterhöhend sind.
[5] a) Inzwischen ist höchstrichterlich geklärt, dass vorprozessual aufgewendete Kosten zur Durchsetzung des im laufenden Verfahren geltend gemachten Hauptanspruchs nicht werterhöhend wirken, wenn dieser Hauptanspruch noch Gegenstand des laufenden Verfahrens ist. Wird der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig und stellt deshalb eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 ZPO dar. Dieses – eine Werterhöhung ausschließende – Abhängigkeitsverhältnis besteht, solange die Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreits ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30.1.2007, VersR 2007, 1102 = zfs 2007, 284 m. Anm. Hansens; Senatsurt. v. 12.6.2007, juris Rn 5 ff. sowie Senatsbeschl. v. 15.5.2007, BGH-Report 2007, 845, 846 und v. 25.9.2007, juris Rn 5 f.).
[6] b) Damit ist zwar nicht ausdrücklich entschieden, ob ein solches Abhängigkeitsverhältnis auch besteht, soweit ein Teil der Hauptforderung im Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Indessen lässt sich aus den bisher ergangenen Entscheidungen entnehmen, dass das die Werterhöhung ausschließende Abhängigkeitsverhältnis nur besteht, so lange die Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreits ist. Daraus folgt, dass entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten ihren Charakter als Nebenforderung verlieren und als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen sind, wenn und soweit der geltend gemachte Hauptanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
[7] Nach st. Rspr. des BGH sind Zinsen aus einem nicht oder nicht mehr im Streit stehenden Hauptanspruch Hauptforderungen i.S.d. § 4 Abs. 1 ZPO ohne Rücksicht darauf, ob ein anderer Teil des Hauptanspruchs noch anhängig ist (vgl. BGHZ 26, 174, 176; BGH, Urt. v. 24.3.1994, NJW 1994, 1869, 1870 m.w.N.). Dies beruht auf der Überlegung, dass nach § 4 ZPO Zinsen, die neben der Hauptforderung geltend gemacht werden, zwar grundsätzlich Nebenforderungen sind und bei der Bemessung des Streitwerts nicht berücksichtigt werden. Sie werden jedoch zur Hauptforderung, wenn der Hauptanspruch nicht oder nicht mehr im Streit steht, sodass also nur noch die Zinsen Gegenstand des Rechtsstreits sind. Wenn oder soweit der Hauptanspruch nicht mehr im Streit ist, fehlt es an einer anhängigen Hauptforderung, die die insoweit geltend gemachten Zinsen zu einer Nebenforderung machen könnten. Die von dem erledigten Teil verlangten Zinsen stehen zur noch geltend gemachten Hauptforderung nicht im Abhängigkeitsverhältnis (vgl. BGHZ 26, 174, 176; BGH, Urt. v. 24.3.1994, a.a.O.).
[8] Es besteht kein Anlass, vorprozessuale Rechtsanwaltskosten anders zu behandeln, weil diese wie Zinsen nur so lange in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Hauptforderung stehen, wie diese ganz oder teilweise Gegenstand des Rechtsstreits ist. Sobald und soweit die Hauptforderung nicht mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil – wie hier – eine auf die Hauptforderung oder einen Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung erklärt worden ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung “emanzipiert’ hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (vgl. MüKo/Schwerdtfeger, ZPO, 2. Aufl., § 4 Rn 30; Musielak/Heinrich, ZPO, 5. Aufl....