AKB § 12 Abs. 1 I b S. 2

Die Überlassung zum Gebrauch setzt nicht voraus, dass sie im Interesse des Empfängers erfolgt.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.11.2009 – 5 U 197/09

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf eine Entschädigung wegen des Abhandenkommens ihres Pkw M in Tunesien – auf das sich der Versicherungsschutz erstreckte – in Anspruch. Sie behauptet, sie sei mit einer Bekannten am 15.6.2007 nach Tunesien gefahren, um den Pkw dort zu verkaufen. Weil sie sich mit dem Erwerber nicht habe einigen können, habe sie den Pkw ihrem Bekannten N S überlassen; dieser habe ihn in eine Garage bringen wollen. Ihr Bekannter habe ihr jedoch weder den Pkw noch den Fahrzeugschlüssel zurückgegeben sondern ihr später gesagt, der Pkw sei aus der Garage gestohlen worden.

Aus den Gründen:

"… (a) Die Fahrzeugversicherung umfasst nach § 12 Abs. 1 I. b) AKB den Verlust des Fahrzeugs durch Entwendung, insbesondere Diebstahl, und Unterschlagung. Nicht versichert ist dagegen der Verlust des Fahrzeugs durch Betrug … Was der Versicherungsvertrag der Parteien unter einer "Entwendung’, insbesondere einem Diebstahl, oder einer Unterschlagung versteht, ist durch Auslegung zu ermitteln.

Unter einem Diebstahl versteht die Rechtssprache – nicht anders als die Alltagssprache – den Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Dabei genügt der Bruch von Mitgewahrsam. Ein Gewahrsamsbruch setzt allerdings immer voraus, dass die tatsächliche Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers gegen oder ohne den Willen ihres Inhabers aufgehoben oder beeinträchtigt wird. Ein Einverständnis mit dem von dem Täter erstrebten oder erlangten Gewahrsam schließt eine Wegnahme aus. Das gilt auch dann, wenn dieses Einverständnis durch Täuschung erlangt worden ist (BGH VersR 1975, 225; Senat VersR 2007, 830). Jeder verständige Versicherungsnehmer wird dies auch ohne weiteres als Inhalt seines Versicherungsvertrages anerkennen: ihm soll Schutz geboten werden vor einem von ihm nicht voll beherrschbaren Risiko; freiwillig eingegangene Risiken soll der Versicherungsnehmer selbst, nicht die Gemeinschaft der Versicherten, tragen …

Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hat sie ihren Pkw nicht durch eine Entwendung, insbesondere durch einen Diebstahl, verloren, sondern entweder durch einen Betrug oder eine Unterschlagung durch ihren früheren Lebensgefährten N S. Durch die Übergabe sämtlicher Pkw-Schlüssel an ihren früheren Lebensgefährten N S und die Erlaubnis, den Pkw in Tunesien alleine – ohne die Klägerin – mit dem Ziel wegzufahren, ihn in eine Garage in einen anderen Ort in Tunesien zu bringen, hat die Klägerin ihren Gewahrsam freiwillig auf ihren früheren Lebensgefährten N S vollständig übertragen. Gewahrsam ist die tatsächliche, in der unmittelbaren Verwirklichung nicht behinderte Herrschaft über eine Sache. Seine Reichweite bestimmt sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens für den betreffenden Lebenskreis. Gehört nach diesen Anschauungen eine in angemessenen Grenzen bleibende Lockerung oder sogar vorübergehende Aufhebung der Sachherrschaft zum Üblichen, so hört der Gewahrsam während dieser Zeit nicht auf …

Die Klägerin hatte jede tatsächliche Sachherrschaft verloren, weil sie keine Pkw-Schlüssel mehr besaß und über den Standort des Pkws nicht informiert war. Nach den Anschauungen des täglichen Lebens sollte ihr früherer Lebensgefährte N S den Pkw auch nicht nur in einem abgegrenzten Bereich bewegen, der ihr bekannt war und in dem sie in der Lage gewesen wäre, trotz vorübergehender Aufhebung der Sachherrschaft den Pkw wieder an sich zu nehmen. Vielmehr war nach den Anschauungen des täglichen Lebens für die Klägerin jede Einwirkungsmöglichkeit vollständig aufgehoben, als ihr früherer Lebensgefährte mit dem Pkw in dem fremden Land mit ihr unbekanntem Ziel losgefahren ist.

Scheidet danach ein Verlust des Pkws durch einen Diebstahl aus, liegt entweder ein nicht versicherter freiwilliger Verlust durch Betrug vor, wenn ihr früherer Lebensgefährte von Anfang beabsichtigte, den Pkw an sich zu bringen, oder eine Unterschlagung durch ihren früheren Lebensgefährten, wenn er sich erst später dazu entschlossen hat, der Klägerin den Pkw nicht mehr zurückzugeben. Auch die Unterschlagung durch den Lebensgefährten wäre nach § 12 Abs. 1 I. b) S. 2 AKB nicht versichert, weil die Klägerin diesem den Pkw zum Gebrauch überlassen hat.

Es wird zwar vertreten, dass eine ‘Überlassung zum Gebrauch’ nur vorliege, wenn der Dritte das Fahrzeug im eigenen Interesse zur Fortbewegung und/oder zum Transport gebrauche und ihm eine selbständige Verfügungsmacht über das Fahrzeug eingeräumt worden sei (OLG Hamm zfs 2006, 275; OLG Hamm VersR 1995, 1477 … ). So soll die Überlassung des Pkws an einen angestellten Fahrer zur Erledigung einer Fahrt im Auftrag des Geschäftsherrn keine Überlassung zum Gebrauch sein, eine Zurverfügungstellung des Pkws über das Wochenende zu eigenen Zwecken oder für eine Urlaubsreise dagegen schon, weil dieses erhöhte Risiko durch die größere Gefahr, dass eine Unterschlagung ...

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