Der Entscheidung ist zuzustimmen.

I. Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr

Reicht – wie es hier der Fall war – der Berufungskläger die Berufungsbegründung ein, so ist es für den Berufungsbeklagten im Regelfall notwendig, einen die volle Verfahrensgebühr auslösenden Schriftsatz mit dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung beim Berufungsgericht einzureichen so BGH RVGreport 2009, 274 (Hansens) = JurBüro 2009, 234 = AGS 2009, 313 = zfs 2009, 465 mit Anm. Hansens. Dies gilt unabhängig davon, ob die Berufung – was hier nicht gegeben war – zunächst nur unter dem Vorbehalt der Fristwahrung eingelegt worden ist.

Hier lag allerdings die Besonderheit zu Grunde, dass der Kläger seine Berufung bereits am 12.1.2009 per Telefax wirksam zurückgenommen hatte, bevor die Prozessbevollmächtigten der Beklagten ihren Berufungszurückweisungsantrag bei Gericht einige Tage später eingereicht hatten. Kenntnis von der Rücknahme hatten die Anwälte der Beklagten allerdings erst mit Zustellung des Schriftsatzes am 16.1.2009 erhalten, als der Berufungszurückweisungsantrag längst bei Gericht eingegangen war. Ob in einem solchen Fall das Einreichen des den Berufungszurückweisungsantrag enthaltenden Schriftsatzes notwendig ist, ist – worauf das OLG München hingewiesen hat – in der Rspr. umstritten.

Nach der zutreffenden Auffassung des OLG München ist allein auf die subjektive Sicht der erstattungsberechtigten Partei abzustellen. Die Gegenauffassung, die die Notwendigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allein objektiv beurteilt, verlagert das Kostenrisiko in unangemessener Weise auf die erstattungsberechtigte Partei. Diese kann auch bei sorgfältigster Verfahrensweise nicht verhindern, dass ihrem Prozessbevollmächtigten durch Einreichen eines Schriftsatzes mit Sachantrag oder Sachvortrag bei Gericht die volle Verfahrensgebühr anfällt, obwohl dies objektiv nicht mehr notwendig war. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten beim Berufungsgericht telefonisch nachfragen würde, ob etwa der Berufungskläger seine Berufung zwischenzeitlich zurückgenommen hat, kann es bei einer verneinenden Antwort des Gerichts vorkommen, dass in der Briefannahme schon die Rücknahme vorliegt oder diese gerade per Fax eingegangen ist.

II. Verfahrensweise der Rechtsanwälte

Um bei Anwendung der hier vom OLG München abgelehnten Gegenauffassung erstattungsrechtliche Nachteile zu vermeiden, sollte der Beklagte bzw. Rechtsmittelbeklagte seinen Klage- bzw. Rechtsmittelzurückweisungsantrag umgehend – möglichst per Telefax – nach Zustellung der Klageschrift bzw. Rechtsmittelschrift der Gegenseite bei Gericht einreichen. Zwar ist dies im Rechtsmittelverfahren verfrüht, wenn zu diesem Zeitpunkt die Rechtsmittelbegründung noch nicht vorlag. Das Einreichen des Schriftsatzes mit Sachantrag ist jedoch dann nachträglich als notwendig anzuerkennen, wenn später die Rechtsmittelbegründung eingeht, so BGH RVGreport 2010, 431 (Hansens) = AGS 2010, 513. Nimmt dann der Kläger bzw. Rechtsmittelkläger seine Klage bzw. sein Rechtsmittel nach Vorliegen der Begründung zurück, so muss der Beklagte bzw. Rechtsmittelbeklagte seinen Zurückweisungsantrag nicht etwa wiederholen. Mit Eingang der Begründung bei Gericht hat sich dann der zunächst verfrüht gestellte Zurückweisungsantrag als notwendig erwiesen. Die spätere Klage- bzw. Rechtsmittelrücknahme kann daran nichts mehr ändern, unabhängig davon, ob und ggf. wann der Beklagte bzw. Rechtsmittelbeklagte hiervon Kenntnis erlangt hat.

Der (Rechtsmittel-)Kläger muss sein Verhalten auf die auch hier vom OLG München vertretene Auffassung in der Rspr. abstellen, für die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr komme es auf die subjektive Kenntnis des Gegners von der Klage- bzw. Rechtsmittelrücknahme an. Der (Rechtsmittel-)Kläger sollte deshalb den (Rechtsmittel-)Beklagten umgehend über die Klage- bzw. Rechtsmittelrücknahme informieren. Dies geschieht am besten durch Übermittlung eines Telefaxes an den (Rechtsmittel-)Beklagten selbst und an seine Prozessbevollmächtigten. Darin sollte eine Abschrift des Klage- bzw. Rechtsmittelrücknahmeschriftsatzes mit der Erklärung übersandt werden, er habe soeben die Klage bzw. das Rechtsmittel gegenüber dem Gericht wirksam zurückgenommen. Reicht in einem solchen Fall der (Rechtsmittel-)Beklagte danach dennoch (erstmals) einen Schriftsatz mit Sachantrag ein, so ist dies nicht mehr notwendig. In diesem Fall ist dann nur die verminderte Verfahrensgebühr, bei Klagerücknahme die 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG, bei Berufungsrücknahme die 1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3202 VV RVG erstattungsfähig.

Das OLG München hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, sodass der BGH ggf. seine zur Erstattungsfähigkeit der für das Einreichen einer Schutzschrift angefallenen Verfahrensgebühr geäußerte Auffassung überdenken kann.

Heinz Hansens

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