Burhoff/Neidel/Grün (Hrsg.): Messungen im Straßenverkehr, 2. Auflage 2010, 1086 S. inkl. CD-ROM, ZAP-Verlag, 98,00 EUR, ISBN: 978-3-89655-519-9
Ein Verteidiger muss sich in straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren, wie die Herausgeber im Vorwort feststellen, nicht zuletzt mit Messverfahren auseinandersetzen, besonders wenn Gegenstand des Vorwurfes Geschwindigkeitsüberschreitungen, Abstandsunterschreitungen oder Rotlichtverstöße sind. Dafür soll ihm mit dem vorliegenden Werk das notwendige Rüstzeug an die Hand gegeben werden. Hohe Sachkompetenz des Verteidigers gerade in diesem Bereich ist, wie die Herausgeber weiter anmerken, immer noch die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Verteidigung. Die vorliegende, vorzügliche, gut verständliche und bildgestützte Darstellung, an der ein Jurist, eine Rechtsmedizinerin, ein Informatiker, ein Dipl.-Ingenieur und zwei Dipl.-Physiker mitgewirkt haben, erleichtert jedem die Einarbeitung in die Materie, besonders wenn er auch noch ein physikalisches Grundverständnis mitbringt.
Das Werk ist in vier große Teile gegliedert. Der umfangreichste Teil 1 betrifft die Messverfahren. Die Vielschichtigkeit der hier vermittelten Informationen kann in einer Rezension bestenfalls angedeutet werden. Neidel beginnt mit der Darstellung der Grundlagen des Eichwesens und der Rolle der PTB bei der Eichung und Zulassung der Messgeräte. HP Grün, Neidel, Groß, Backes u.M. Grün stellen alle zur Feststellung einer Abstandsunterschreitung sowie Geschwindigkeitsüberschreitung derzeit eingesetzten Messverfahren mit ihrer spezifischen Messtechnik, insbesondere das Laser-, Lichtschranken- und Radarmessverfahren sowie Messungen durch Nachfahren, und zwar jeweils mit und ohne Bilddokumentation, vor. Die Verf. erläutern jeweils Messprinzip und Funktionsweise und gehen selbstverständlich auch auf Fehlerquellen und erforderliche Toleranzabzüge ein. Dem Leser werden Bilder, die ein verwertbares Messergebnis zeigen und solche, die bei denen dies nicht der Fall ist, vorgeführt, wobei auch die Bedeutung von Dateneinblendungen aufgezeigt wird. Tabellarische Übersichten, spezielle Hinweise und Checklisten für korrekte Messungen erleichtern die Orientierung. Den beschriebenen Messmethoden werden einschlägige Gerichtsentscheidungen zugeordnet.
Mit der Rotlichtüberwachung befasst sich Groß. Er beschreibt die Funktionsweise von Rotlichtanlagen mit und ohne geräteinterne Berechnung der vorzuwerfenden Rotzeit und schildert dabei detailliert – wiederum bildgestützt – die Anforderungen an eine korrekte Auswertung. Auch er fasst die Ergebnisse jeweils in Checklisten für eine korrekte Messung zusammen.
Die Aufmerksamkeit des Lesers sei besonders auf den Teil 2, in dem Bellmann und Brückner die derzeitigen Erkenntnisse der Identifizierung einer Person anhand eines Gesichtervergleichs ausbreiten. Arbeitsgrundlage sind ein zu überprüfendes Beweisbild von Fahrer bzw. Täter und ein Vergleichsbild der vermuteten Person. Die Autoren informieren über Kriterien der Eignung, Bearbeitung und Speicherung von Beweisbildern und über Einflussfaktoren von Vergleichsbildern. Sie weisen z.B. darauf hin, dass selbst bei teilvermummten Personen ein Vergleich der sichtbaren Gesichtsanteile für die Identifizierung aufschlussreich sein kann. Sie legen weiter ausführlich dar, wie ein morphologisches Gutachten aufzubauen ist und stellen klar, dass die dargestellten Merkmalsausprägungen auch für Ungeübte nachvollziehbar sein müssen. "Einen sog. morphologischen Blick des Gutachters, der mehr als andere sieht, gibt es nicht." Die Autoren stellen in einer systematischen Auflistung für den Kopf- und Gesichtsbereich nicht weniger als 91 Merkmale zusammen. Sie machen schließlich auf einen Vorbehalt für jeden morphologischen Bildvergleich aufmerksam: Es dürfe kein engerer Blutsverwandter der beschuldigten Person als Täter infrage kommen.
Für die rechtliche Unterfütterung in Teil 3 sorgt Burhoff. Er zeichnet zunächst sorgfältig die Argumentation des BVerfG in den beiden grundlegenden Beschlüssen v. 11.08.09 und 05.07.10 zur Ausstrahlung des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung auf Videomessungen im Straßenverkehr (Stichwort: verdachtsunabhängige Überwachung) nach und lotet das Echo, das diese Entscheidungen in der Rspr. der Amts- und Oberlandesgerichte zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes gefunden haben, aus. Seine in diesem Zusammenhang geäußerte Ansicht, dass ein Messbeamter nicht schon beim Einstellen der Grenzwerte an der Kamera einen Anfangsverdacht auslösen kann, nimmt man zwar mit Sympathie zur Kenntnis, kann sich aber auch seiner realistischen Einschätzung dahin, dass die Diskussion mit der abweichenden Sicht des BVerfG zu Ende sein dürfte, nicht verschließen. Der Autor durchleuchtet weiter die zur Geschwindigkeitsüberschreitung, zur Abstandsunterschreitung und zu Rotlichtverstößen vorliegende Rspr. des BGH und der Instanzgerichte. Dabei listet er u.a. tabellarisch auf, welche Gerichte welches Messverfahren als standardisiert ane...