ARB 2000 § 4 Abs. 2
Leitsatz
1. Unterlässt es ein Arzt, seinen Patienten über einen längeren Zeitraum bei gleich bleibendem Gesundheitszustand über Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären, dann liegt darin ein einheitlicher Rechtsschutzfall mit einem einzigen Dauerverstoß i.S.d. § 4 Abs. 2 ARB 2000,
2. Verschlechtert sich dagegen der Zustand des Patienten, sodass zunächst über mögliche Therapien, dann über eine operative Entlastung der Wirbelsäule bis hin zur absoluten Operationsindikation hätte aufgeklärt werden müssen, dann liegt kein einheitlicher Dauerverstoß mehr vor. Die Qualität der Pflichtenlage hat sich jeweils wesentlich verändert, sodass von mehreren selbständigen Verstößen und damit von mehreren Rechtsschutzfällen auszugehen ist.
3. Durch ein Fallenlassen von Vorwürfen im Haftpflichtprozess kann der Versicherungsnehmer den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nicht willentlich verschieben, es sei denn, es liegt hierfür ein sachlicher Anlass vor.
OLG Hamm, Urt. v. 27.10.2010 – 20 U 71/10
Sachverhalt
Der Kläger nimmt als mitversicherte Person die Beklagte auf Deckung aus einem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag für ein beabsichtigtes Klageverfahren wegen ärztlichen Fehlverhaltens in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag liegen die ARB 2000 zu Grunde. Versicherungsbeginn war der 15.8.2001.
Der Kläger befand sich seit 1998 wegen Cervikobrachialgien in ärztlicher Behandlung bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R aus B. Bereits aufgrund einer Kernspintomografie am 26.6.1998 wurden erstmalig Bandscheibenvorfälle diagnostiziert. Eine am 22.4.2002 erneut durchgeführte Kernspintomografie ergab einen stark betroffenen Spinalkanal; der Kläger litt an einer zunehmenden Schmerzsymptomatik und Taubheitsgefühlen im Hand- und Beinbereich. Eine weitere am 13.10.2004 durchgeführte Kernspintomografie ergab eine fortgeschrittene Querschnittsreduktion, sodass von einer Rückenmarksatrophie ausgegangen wurde. Der Kläger wurde am 1.6.2005 operiert.
Mit Anwaltsschreiben vom 2.8.2005 machte der Kläger gegenüber dem Arzt geltend, dass "vor dem Hintergrund" einer Behandlung seit 1998 von einer ärztlichen Fehlbehandlung auszugehen sei. Nach Vorlage eines Gutachtens der Gutachterkommission für ärztliche Haftpflichtfragen bei der Ärztekammer W vom 24.7.2007 machte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 24.8.2007 gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Arztes geltend, dass "bereits 1998 durch eine operative Entlastung eine Progredienz der Erkrankung hätte vermieden werden können und diese operative Entlastung auch angezeigt war". Ferner heißt es in diesem Schreiben des Klägers, "dass bei der 1998 bereits augenfälligen Entwicklung mögliche und gebotene weitere Aufklärungsmöglichkeiten ergriffen werden mussten" sowie im direkten Anschluss "Für die Höhe der Einzelansprüche werden wir also den Zustand des Mandanten zugrunde legen, der bestanden hätte seit 1998, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits die Operation durchgeführt worden wäre".
Mit Schreiben vom 6.9.2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rechtsschutz ab, da der Rechtsschutzfall vor Versicherungsbeginn eingetreten sei. Auch nach Hinweis des Klägers, dass er seine Ansprüche gegen den Arzt auf die Zeit nach dem 22.4.2002 stütze, hielt die Beklagte an der Rechtsschutzverweigerung fest.
2 Aus den Gründen:
"Im Ergebnis zutreffend ist das LG davon ausgegangen, dass die Beklagte zur Gewährung von Rechtsschutz verpflichtet ist. Denn es ist nicht von einer Vorvertraglichkeit der hier für den Eintritt des Versicherungsfalles maßgeblichen Rechtsverstöße auszugehen."
Zwar ist entgegen der Auffassung des LG bereits von dem Vorliegen eines ersten Versicherungsfalles im Jahr 1998 auszugehen. Zwar ändert sich daran auch nichts dadurch, dass der Kläger seinen Anspruch im Haftpflichtprozess allein auf ein ärztliches Fehlverhalten ab April 2002 stützen will. Jedoch bleibt der Rechtsschutzfall des Jahres 1998 deshalb außer Betracht, weil er länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung eingetreten ist.
I. Nach § 4 Abs. 1 S. 1c ARB 2000 gilt der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.
Nach der Rspr. des BGH (VersR 2008, 109) richtet sich die Festlegung eines verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles i.S.v. § 14 Abs. 3 S. 1 ARB 75 (entsprechend des hier vereinbarten § 4 Abs. 1 S. 1c ARB 2000) allein nach der vom Versicherungsnehmer behaupteten Pflichtverletzung. Dieses Vorbringen muss (erstens) einen objektiven Tatsachenkern – im Gegensatz zu einem bloßen Werturteil – enthalten, mit dem der Versicherungsnehmer (zweitens) den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verbindet, der den Keim für eine rechtliche Auseinandersetzung enthält, und worauf er (drittens) seine Interessenverfolgung stützt.
Daran gemessen liegt bereits im Jahr 1998 ein Versicherungsfall vor. Denn der Kläger hat bereits mit seinem ersten Anspruchsschreiben gegenü...