AVB Vermögensschäden § 1
Leitsatz
Der für den Deckungsprozess bindende Haftungstatbestand umfasst lediglich die vom Tatrichter des Haftpflichtprozesses festgestellten und seiner Entscheidung zugrunde gelegten tatsächlichen Elemente; seine rechtliche Einordnung ist dagegen ohne Belang.
BGH, Urt. v. 8.12.2010 – IV ZR 211/07
Sachverhalt
Die Bekl. war Berufshaftpflichtversicherer eines früheren Rechtsanwalts und Notars (im Folgenden auch: Schädiger). Versichert war nach § 1 S. 1 der zugrunde liegenden AVB die Ersatzpflicht für Vermögensschäden "wegen eines bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit … begangenen Verstoßes".
Der Schädiger ist durch rechtskräftiges Urt. des OLG F verurteilt worden, an die Kl. 144.596,70 DM nebst Zinsen als Schadensersatz aufgrund der Verletzung eines Treuhandvertrages zu zahlen, der eine Kapitalanlage in Spanien zum Gegenstand hatte. In diesem Urt. ist festgestellt, dass er entgegen seiner Verpflichtung aus dem Treuhandvertrag einen erhaltenen Scheckbetrag nicht unverzüglich der Gesellschaft, deren Obligationen die Kl. zu erwerben beabsichtigte, zur Verfügung gestellt habe, weshalb diese die entsprechende Stückzahl an Obligationen auch nicht erworben habe; daher hafte der Schädiger gem. "§ 280 BGB – hilfsweise: pVV des Treuhandvertrags" auf Schadensersatz. Die Kl. nimmt nunmehr, nachdem sie den vermeintlichen Deckungsanspruch des Schädigers gegen die Bekl. gepfändet und sich zur Einziehung hat überweisen lassen, die Bekl. auf Zahlung des im Haftpflichtprozess zuerkannten Betrages in Anspruch.
2 Aus den Gründen:
[5] "… Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urt. und zur Zurückverweisung der Sache an das BG.
[6] I. Das BG hat ausgeführt, dass nicht von notarieller Tätigkeit auszugehen sei; damit liege eine versicherte berufliche Tätigkeit des Schädigers nicht vor. Dies folge mit Bindungswirkung für den Deckungsprozess daraus, dass die Verurteilung im Haftpflichtprozess auf “§ 280 BGB – hilfsweise pVV des Treuhandvertrags –’ gestützt worden sei. Auf weitere streitige Fragen wie die Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VVG und das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers komme es danach nicht mehr an.
[7] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[8] 1. Das BG hat bereits die Reichweite der Bindungswirkung des Haftpflichturteils verkannt.
[9] a) Allerdings ist es zutreffend davon ausgegangen, dass § 19 BNotO die ausschließliche Anspruchsgrundlage für die Haftung eines Notars wegen Amtspflichtverletzungen bei Ausübung seiner notariellen Tätigkeit darstellt (BGHZ 134, 100, 106). Damit scheiden § 280 BGB bzw. – nach dem bis zum 31.12.2001 geltenden Recht – positive Vertragsverletzung als Anspruchsgrundlagen bei pflichtwidrigem notariellen Handeln aus.
[10] b) Richtig ist auch, dass sich aus dem rechtskräftigen Haftpflichturteil Bindungswirkung für den nachfolgenden Deckungsrechtsstreit ergibt, soweit es um den dort festgestellten Haftungstatbestand geht. Dies ist eine notwendige Ergänzung des in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzips, wonach grds. im Haftpflichtprozess zu entscheiden ist, ob und in welcher Höhe der Versicherungsnehmer dem geschädigten Dritten gegenüber haftet. Damit wird verhindert, dass die im Haftpflichtprozess getroffene Entscheidung und die zugrunde liegenden Feststellungen im Deckungsprozess erneut infrage gestellt werden können (Senat BGHZ 119, 276, 278).
[11] Die Bindungswirkung geht aber nicht weiter, als eine für die Entscheidung im Deckungsprozess maßgebliche Frage sich auch im Haftpflichtprozess nach dem vom Haftpflichtgericht gewählten rechtlichen Begründungsansatz bei objektiv zutreffender rechtlicher Würdigung als entscheidungserheblich erweist, also Voraussetzungsidentität vorliegt. Nur dann ist es gerechtfertigt anzunehmen, eine Feststellung sei Grundlage für die Entscheidung im Haftpflichtprozess. Die Begrenzung der Bindungswirkung auf die Fälle der Voraussetzungsidentität ist insb. deshalb geboten, weil der Versicherungsnehmer und der Versicherer keinen Einfluss darauf haben, dass der Haftpflichtrichter “überschießende’, nicht entscheidungserhebliche Feststellungen trifft oder nicht entscheidungserhebliche Rechtsausführungen macht (Senat VersR 2007, 641; VersR 2004, 590).
[12] Die Bindung an eine im Haftpflichtprozess festgestellte schadenverursachende Pflichtverletzung ist auch dann gegeben, wenn daneben noch andere Pflichtverletzungen bestehen mögen; dem Haftpflichtversicherer ist es verwehrt, sich zur Begründung eines Ausschlusstatbestands auf eine andere als die festgestellte Pflichtverletzung zu berufen (Senat VersR 2003, 635; VersR 2002, 1141; VersR 2001, 1103).
[13] c) Aus alldem folgt, dass der für den Deckungsprozess bindende Haftungstatbestand lediglich die vom Tatrichter des Haftpflichtprozesses festgestellten und seiner Entscheidung zugrunde gelegten tatsächlichen Elemente umfasst … Maßgeblich ist der äußere Tatbestand der Pflichtwidrigkeit, nicht dessen rechtliche Einordnung. Dies muss auch deshalb gelten, weil sich beide Parteien des Haf...