RVG § 15 Abs. 2 § 17; VV RVG Nr. 7002
Leitsatz
Bei einem Ordnungswidrigkeitenverfahren vor der Verwaltungsbehörde und vor dem AG handelt es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG, so dass ein Rechtsanwalt die Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 RVG-VV) nur einmal fordern kann.
BGH, Urt. v. 19.12.2012 – IV ZR 186/11
Sachverhalt
Wegen eines Rotlichtverstoßes war gegen den Kl. ein Bußgeldbescheid ergangen, gegen den der Verteidiger des Kl. Einspruch einlegte. Nach Weiterleitung der Bußgeldsache über die Staatsanwaltschaft an das AG vertrat der Anwalt den Kl. auch im dortigen Hauptverhandlungstermin. Er erreichte eine Reduzierung der Geldbuße auf 35 EUR und verhinderte damit die Eintragung von drei Punkten in das VZR. Für die außergerichtliche und die gerichtliche Tätigkeit berechnete der Verteidiger dem Kl. eine Vergütung i.H.v. insg. 589,65 EUR. In diesem Betrag enthalten waren zwei Postentgeltpauschalen i.H.v. jeweils 20 EUR zzgl. Umsatzsteuer i.H.v. je 3,80 EUR, die der Rechtsanwalt sowohl für das Verfahren bei der Verwaltungsbehörde als auch für das amtsgerichtliche Verfahren berechnet hatte.
Die beklagte Rechtsschutzversicherung hatte dem Kl. Deckungsschutz für die Vertretung in dem Verfahren gewährt. Zur Freistellung von dem Vergütungsanspruch seines Verteidigers aufgefordert beglich diese die Rechnung des Verteidigers mit Ausnahme einer der beiden geltend gemachten Pauschalen einschließlich Umsatzsteuer i.H.v. 23,80 EUR.
Der Kl. verlangte vor dem AG Dortmund von der Rechtsschutzversicherung Freistellung von diesem Betrag. Das AG hat die Klage abgewiesen, das LG Dortmund als BG die Berufung zurückgewiesen. Die zugelassene Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[8]“ … Der Kl. hat gegen die Bekl. keinen Freistellungsanspruch in Höhe der noch nicht beglichenen 23,80 EUR, da seinem anwaltlichen Vertreter insoweit kein Vergütungsanspruch zusteht. Bei dem Ordnungswidrigkeitenverfahren vor der Verwaltungsbehörde und vor dem AG handelt es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG, so dass der Rechtsanwalt die Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) nur einmal fordern kann.
[9] 1. Die Frage, ob das behördliche und das gerichtliche Ordnungswidrigkeitenverfahren als dieselbe oder verschiedene Angelegenheiten anzusehen sind, ist in Rspr. und Literatur umstritten.
[10] Nach überwiegender Auffassung handelt es sich um zwei Angelegenheiten (LG Konstanz zfs 2010, 167 mit zustimmender Anm. Hansens; AG Herford, Beschl. v. 17.2.2011 – 11 OWi 588/09, juris; AG Frankenberg BeckRS 2011, 19308; AG Solingen Der Verkehrsanwalt 2008, 174; AG Bitterfeld-Wolfen AGS 2010, 225; AG Aachen zfs 2011, 647 mit zustimmender Anm. Hansens; AG Hamburg-St. Georg JurBüro 2006, 359, aufgehoben durch LG Hamburg JurBüro 2006, 644; AG Gronau BeckRS 2010, 15778; AG Siegburg AGS 2011, 325; AG Detmold zfs 2007, 405 mit zustimmender Anm. Schulz-Henze; AG Nauen zfs 2007, 407 mit zustimmender Anm. Hansens; AG Düsseldorf AGS 2006, 504 mit zustimmender Anm. Schneider; AG Wildeshausen NZV 2011, 91; AG Friedberg NJW-RR 2009, 560; AG Neuss AGS 2008, 598; AG Tempelhof-Kreuzberg, Urt. v. 8.2.2011 – 9 C 278/10, nicht veröffentlicht; so auch Schneider AGS 2005 S. 7 ff.; ders. in: AnwKomm-RVG, 5. Aufl., vor VV 5107 ff. Rn 4; Mayer/Kroiß/Winkler, RVG, 5. Aufl., § 15 Rn 30; Burhoff, RVG 3. Aufl., Nr. 7002 VV Rn 17). Begründet wird dies insb. mit einem Verweis auf § 17 Nr. 1 RVG, der ausdrücklich bestimmt, dass das außergerichtliche und das gerichtliche Verwaltungsverfahren als unterschiedliche Angelegenheiten zu behandeln sind.
[11] Nach anderer Ansicht betreffen beide Verfahren dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG (LG Detmold, Urt. v. 17.6.2008 – 4 Qs 71/08, juris; LG Köln Rpfleger 2009, 273; LG Hamburg JurBüro 2006, 644; LG Magdeburg JurBüro 2008, 85; LG Koblenz AGS 2006, 174; LG Potsdam AGS 2009, 590; AG München DAR 2008, 612; AG Linz, Beschl. v. 7.4.2011 – 2080 Js 65451/10 – 3 Owi, juris; AG Luckenwalde JurBüro 2011, 256; AG Koblenz AGS 2007, 141; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl. § 17 Rn 62; Hartmann, KostG, 42. Aufl., § 15 Rn 40 “Ordnungswidrigkeit’; Göttlich/Mümmler, RVG, 3. Aufl., “Post- und Telekommunikationsdienstleistungen’ Nr. 4 S. 723). Aus § 17 Nr. 1 RVG könne nichts hergeleitet werden, weil der Umfang eines Verwaltungsverfahrens mit ggf. eigener Beweisaufnahme und Widerspruchsverfahren nicht mit dem Zwischenverfahren bei der Bußgeldstelle vergleichbar sei. Auch sonst spreche nichts für verschiedene Angelegenheiten.
[12] 2. Diese Auffassung trifft zu.
[13] a) Dem Katalog des § 17 RVG, der Verfahren aufzählt, die verschiedene Angelegenheiten sind, kann keine Entscheidung des Gesetzgebers über die Behandlung des außergerichtlichen und gerichtlichen Bußgeldverfahrens als verschiedene Angelegenheiten entnommen werden. Weder ist das Bußgeldverfahren hierin erwähnt noch sind die aufgeführten Verfahren mit dem Bußgeldverfahren vergleichbar.
[14] aa) Eine Anwendung des § 17 Nr. 1 RVG, der als Beispiel für verschiedene Angelegen...