StVO § 37
Leitsatz
1. Die (polizeiliche) Zeitmessung der Dauer der Rotlichtphase anlässlich eines dem Betr. zur Last liegenden sog. qualifizierten Rotlichtverstoßes ist nicht deshalb unverwertbar, weil sie mit Hilfe einer ungeeichten Stoppuhr eines Mobiltelefons (Smartphone) erfolgt ist (u.a. Anschluss an KG NZV 2004, 652; OLG Celle NZV 1996, 419, und OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.6.1993 – 2 Ss 72/93).
2. Wie in den Fällen der Geschwindigkeitsmessung mit einem ungeeichten Tachometer ist zum sicheren Ausgleich etwaiger Messungenauigkeiten und sonstiger Fehlerquellen vom so gemessenen Zeitwert ein bestimmter Toleranzwert in Abzug zu bringen, welcher vom Tatrichter im Urteil unter Bezeichnung der möglichen geräteeigenen Fehler, der konkret eingesetzten Uhr und etwaiger externer Fehlerquellen zu berücksichtigen ist.
3. Erfolgt die Zeitmessung mit einer ungeeichten Stoppuhr, ist die Berücksichtigung eines über dem für etwaige Gangungenauigkeiten (Verkehrsfehlergrenze) geeichter Stoppuhren auch nach dem Inkrafttreten des MessEG vom 31.8.2015 sowie der MessEV vom 11.12.2014 anerkannten Toleranzabzug von 0,3 Sekunden liegenden Sicherheitsabzugs erforderlich (u.a. Anschluss und Fortführung an KG, Beschl. v. 26.3.2018 – 122 Ss 41/18, und BayObLG NZV 1995, 368).
BayObLG München, Beschl. v. 19.8.2019 – 201 ObOWi 238/19
Sachverhalt
Das AG verurteilte den Betr. wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde andauerte, zu einer Geldbuße von 200 EUR und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Das BayObLG hat auf die Rechtsbeschwerde des Betr. das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"… II. Die gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde des Betr. hat auf die Sachrüge hin – zumindest vorläufig – Erfolg, weil sich die Urteilsgründe als lückenhaft erweisen. Die Urteilsfeststellungen vermögen die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nach Nr. 132.3 BKat, d.h. Fahren bei einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase, nicht zu belegen. Das angefochtene Urteil enthält keine den Mindestanforderungen der §§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG genügende Beweiswürdigung."
1. Das AG trifft im Rahmen der Beweiswürdigung u.a. folgende Feststellungen:
Zitat
“So bekundete der Zeuge R., er habe mit seinem Kollegen Z. an der Abzweigung der E.-Straße Rotlichtüberwachungen durchgeführt. […] Der Zeuge bekundete ferner, er sei auf dem Fahrersitz gewesen. Von dieser Position aus habe er gute Sicht auf die Ampel und die Haltelinie gehabt. Das Gelblicht der für die Linksabbieger geltenden Lichtzeichenanlage dauere 3 Sekunden. Das Fahrzeug des Betr. habe die Haltelinie überfahren, als die Lichtzeichenanlage bereits 1,49 Sekunden Rotlicht gezeigt habe. Er habe die Zeit mit der nicht geeichten Stoppuhr seines Handys gemessen und dazu die Stoppuhr gedrückt, nachdem die Ampel Rotlicht gezeigt hätte, und die Stoppuhr wieder gedrückt, als der Vorderreifen über die Haltelinie gefahren sei. Der Betr. sei auf der Hauptstraße gefahren und ohne anzuhalten in einem Zug nach links abgebogen. […] Richtig ist jedoch, dass es anders als bei einer automatischen Messung aus Reaktionsverzögerungen und Konzentrationsfehlern des messenden Polizeibeamten bei der Beobachtung des Beginns der Rotlichtphase und der ersten Bedienung der Stoppuhr, der Beobachtung des Überfahrens der Haltelinie und der zweiten Bedienung der Stoppuhr zu möglichen Messfehlern kommen kann. Daher ist zugunsten des Betr. ein Toleranzabzug von 0,3 Sekunden der gemessenen Zeit vorzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.7.2000 – 2b Ss (OWi) 132/00-(OWi) 67/00 I), so dass eine Rotphase von 1,19 Sekunden verbleibt.'
2. Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind und sich der Begründungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, so kann für deren Inhalt grds. nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand versetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 71 Rn 42, 43 m.w.N.). Zwar muss das Rechtsbeschwerdegericht die subjektive Überzeugung des Tatrichters von dem Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts grds. hinnehmen und ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatrichterlichen Überzeugung zu setzen. Allerdings kann und muss vom Rechtsbeschwerdegericht überprüft werden, ob die Überzeugung des Tatrichters in den...