VVG § 22; BGB § 123
Leitsatz
Gibt ein Versicherungsmakler eines Versicherungsnehmers die Betriebsart eines zu versichernden Pachtobjekts wissentlich mit "Gaststätte" an, obwohl in dem Gebäude ein Swingerclub betrieben wird und ein Mitarbeiter des Versicherers zuvor bereits die Absicherung eines Swingerclubs abgelehnt hatte, so ist eine Arglistanfechtung des Versicherers begründet.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Celle, Urt. v. 14.2.2020 – 8 U 171/19
Sachverhalt
Die Kl. macht mit ihrer Klage Ansprüche aus einer Inhalts-, Gebäude- und Ertragsausfallversicherung wegen eines Brandschadens am 9.11.2014 geltend. Die Kl. war ab dem 30.5.2011 Miteigentümerin in Erbengemeinschaft und ist seit dem 5.10.2016 Alleineigentümerin des gegenständlichen Grundstücks, das mit einem Geschäftsgebäude bebaut und zunächst an Frau S.M. und ab dem 6.5.2014 an die (inzwischen wegen Vermögenslosigkeit gelöschte) F-UG verpachtet war. Die Pächter betrieben in dem Objekt den Swingerclub B.; ob in dem Swingerclub Prostituierte tätig waren, ist streitig.
Am 22.9.2011 übermittelte die Bekl. dem Streithelfer der Kl., der für sie als Versicherungsmakler tätig und von dieser bevollmächtigt war, ihre Interessen gegenüber der Bekl. zu vertreten, eine Preisinformation für eine Firmen-Police, die eine Inhalts-, Gebäude- und Ertragsausfallversicherung umfasste und u.a. das Risiko Feuer abdeckte. In der Preisinformation war als Betriebsart "Gaststätte" angegeben. Nachdem die Kl., vertreten durch Herrn P., dem Vorschlag am 29.9.2011 zugestimmt hatte, übermittelte der Streithelfer die Preisinformation am 30.9.2011 der Bekl. per Telefax als Deckungsaufgabe. Die Bekl. policierte den Vertrag am 20.10.2011 auf der Grundlage der VFS 2010 und weiterer Bedingungen. Am 9.11.2014 wurde das Gebäude infolge von Brandstiftung vollständig zerstört. Nachdem die Kl. der Bekl. den Schaden gemeldet hatte, trat diese in die Leistungsprüfung ein. Mit Schreiben v. 5.12.2014 erklärte die Bekl. den Rücktritt vom Vertrag, hilfsweise eine Vertragsanpassung, weil bei Antragstellung die Betriebsart falsch angegeben worden sei. Ferner forderte die Bekl. die Kl. zur Erteilung verschiedener Auskünfte und Einreichung von Unterlagen auf, was in der Folgezeit unterblieb. Mit weiterem Schreiben v. 30.10.2015 erklärte die Bekl. wegen der falschen Angabe der Betriebsart die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung.
2 Aus den Gründen:
"… C. Die Klage ist jedoch unbegründet."
1. Das LG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Vertrag aufgrund der von der Bekl. erklärten Anfechtung nach § 22 VVG; §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung nichtig ist.
a) Das LG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Bekl. mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten v. 30.10.2015 die Anfechtung ihrer Vertragserklärung wegen der falschen Angabe der Bezeichnung des Objekts als “Gaststätte' erklärte.
Zuzugestehen ist der Kl. zwar, dass diese – was das LG offensichtlich missverstanden hat – den Zugang des Schreibens v. 30.10.2015 bei ihrem damaligen anwaltlichen Vertreter, Rechtsanwalt B., bestritten hat. Das ist im Ergebnis jedoch ohne Bedeutung. Denn der Zugang dieses Schreibens steht aufgrund der Aktenlage fest. (…)
b) Soweit die Kl. infrage stellt, ob das Schreiben v. 30.10.2015 innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB zuging, ist das ohne Bedeutung. Denn die Beweislast für alle Voraussetzungen des Erlöschens des Anfechtungsrechts trägt der Anfechtungsgegner, hier also die Kl. (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 124 Rn 5 m.w.N.). Es wäre also Sache der Kl. darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass das Schreiben v. 30.10.2015 erst nach Ablauf der Jahresfrist bei Rechtsanwalt B. einging. Derartiger Vortrag wäre der Kl. auch ohne Weiteres möglich, weil sie von ihrem früheren anwaltlichen Vertreter eine entsprechende Auskunft verlangen könnte.
Hierzu verhält sich der Vortrag der Kl. jedoch nicht, obwohl sogar die Bekl. in der Berufungserwiderung ausdrücklich auf die bei der Kl. liegende Beweislast hingewiesen hat.
c) Das LG ist ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass die Bekl. zur Anfechtung berechtigt war. Der Streithelfer täuschte die Bekl. bei Vertragsabschluss arglistig. Die Kl. muss sich dieses Verhalten des Streithelfers zurechnen lassen. Die Vertragserklärung der Bekl. beruhte auf dieser Täuschung.
aa) Eine arglistige Täuschung der Bekl. durch den Streithelfer liegt vor.
(1) Die Annahme einer von einem VN begangenen arglistigen Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem VR zum Zweck der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der VN muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des VR einwirkt. Falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung nicht. Es existiert kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in Manipulationsabsicht ...