Gemäß § 651n Abs. 1 kann der Reisende unbeschadet der Minderung oder der Kündigung Schadensersatz verlangen. Dies gilt aber beispielsweise dann nicht, wenn der Reisemangel durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände verursacht wurde (Abs. 1 Nr. 3). Wird die Pauschalreise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt, kann der Reisende nach § 651n Abs. 2 BGB auch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Im Corona-Jahr versuchten daher einige Reisende, solche Schadensersatzansprüche gegenüber dem jeweiligen Veranstalter geltend zu machen (ggf. neben Minderungs- oder Rückzahlungsansprüchen). In derartigen Konstellationen haben die betroffenen Reisenden also (anders als in den oben unter A. II. dargestellten Fällen) ein Interesse daran, dass die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gerade nicht als unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände betrachtet werden.
1. AG Rostock (15.7.2020)
Das AG Rostock entschied dazu mit Urt. v. 15.7.2020, dass ein Anspruch auf Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude ausscheidet, wenn der Veranstalter einer Kreuzfahrt wegen der Infektionsgefahren durch COVID-19 wirksam vom Reisevertrag zurückgetreten ist und die Reise deshalb abgesagt wurde. Dass es sich bei der Corona-Pandemie um unvermeidbare außergewöhnliche Umstände handelt, kann nach dem Wortlaut der Entscheidungsgründe "keinem Zweifel unterliegen". Zum Zeitpunkt der Absage der Reise musste die Beklagte mit einer ernsthaften Gefährdung, d.h. mit objektiven nicht fernliegenden Umständen für den Eintritt eines Ereignisses rechnen, das die ordnungsgemäße Durchführung der Reise beeinträchtigen oder vereiteln könnte.
2. AG Wiesbaden (9.9.2020)
Ähnlich entschied das AG Wiesbaden mit Urt. v. 9.9.2020 : Für den Rücktritt eines Reiseveranstalters vom Reisevertrag ist es demnach nicht erforderlich, dass für das Zielgebiet eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorliegt. Es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Ausbreitung der Krankheit COVID-19. Diese Wahrscheinlichkeit war bereits im Februar 2020 für eine Asien-Kreuzfahrt (geplant für April 2020) zu bejahen. Eine solche Absage der Reise rechtfertigt daher keinen Schadensersatzanspruch des Reisenden nach § 651n Abs. 2 BGB.
Bemerkenswert sind allerdings die weiteren Ausführungen des AG Wiesbaden, wonach es auf die Prognoseentscheidung aus Februar 2020 letztlich gar nicht ankommen soll. Das AG Wiesbaden begründet dies damit, dass Mitte März 2020 die Bundesregierung – wie viele andere Europäische Regierungen auch – zur Eindämmung der Pandemie erhebliche Einschränkungen des gesamten öffentlichen Lebens anordnete. Verbunden war dies mit einer weltweiten Reisewarnung, die auch im April 2020 immer noch Gültigkeit hatte. Somit hätte die streitgegenständliche Asien-Kreuzfahrt in jedem Falle ausfallen müssen. Selbst wenn die Prognoseentscheidung des beklagten Reiseveranstalters im Februar 2020 falsch gewesen sein sollte, so wäre der klagenden Reisenden dadurch kein Schaden entstanden, da diese unterstellte falsche Prognoseentscheidung für den Ausfall des Schadens überhaupt nicht kausal geworden wäre (sog. überholende Kausalität).
Wenn man dieser Position des AG Wiesbaden folgen sollte, dann wäre konsequenterweise zu erwägen, die entsprechenden Grundsätze im umgekehrten Fall auch auf den Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters nach Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn (§ 651h BGB) anzuwenden. Dort soll nach derzeit absolut vorherrschender Meinung aber ausschließlich auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Reisenden abgestellt werden (reine ex-ante-Betrachtung, s.o.).
3. AG München (8.12.2020)
Gegen Ende des Berichtszeitraums entschied das AG München mit Urt. v. 8.12.2020, dass ein Reisender einer Kreuzfahrt in Südostasien selbst bei erheblichen Routenänderungen wegen der Corona-Pandemie keine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit verlangen kann, auch wenn er berechtigt nach § 651g BGB vom Reisevertrag zurückgetreten ist.