AKB 2.2.2.2
Leitsatz
1. Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, mithin um einen Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Fremdkörper auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich der Fremdkörper schon vorher im Reifen befand und erst später durch Einwirkungen während der Fahrt das Platzen des Reifens verursacht.
2. Ein Unfall im Sinne der üblichen Bedingungen in der Vollkaskoversicherung liegt hingegen nicht vor, wenn ein schon vorher bestehender Reifenschaden, eine fehlerhafte Montage oder fehlerhafter Luftdruck alleinige Ursache für das Platzen des Reifens während der Fahrt ist.
3. Macht der Versicherungsnehmer nach dem Platzen eines Reifens Leistungen aus der Vollkaskoversicherung geltend, muss er die Voraussetzungen eines Unfalls beweisen. Dazu gehört der Nachweis, dass ein eingedrungener Fremdkörper für das Platzen des Reifens ursächlich war.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.2020 – 9 U 124/18
Sachverhalt
Der Kl. war Eigentümer eines Pkw M. Für dieses Fahrzeug unterhielt der Kl. bei der Bekl. eine Kaskoversicherung. In Ziff. A.2.3 der AVB war vereinbart:
Versicherungsschutz besteht bei Beschädigung, Zerstörung, Verlust oder Totalschaden des Fahrzeuges einschließlich seiner mitversicherten Teile durch die nachfolgenden Ereignisse:
(…)
Unfall
A.2.3.2 Versichert sind Unfälle des Fahrzeuges. Als Unfall gilt ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis.
Nicht als Unfallschäden gelten insbesondere Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs oder reine Bruchschäden. Dazu zählen z.B. Schäden am Fahrzeug durch rutschende Ladung oder durch Abnutzung aufgrund Bedienungsfehler oder Überbeanspruchung des Fahrzeuges und Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen.
Am 11.11.2017 befuhr der Kl. mit seinem Fahrzeug die BAB A5 in der Nähe von W. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt mit Winterreifen ausgerüstet. Während der Fahrt auf der Autobahn platzte plötzlich der linke Hinterreifen mit einem lauten Knall. Das Fahrzeug geriet ins Schleudern; es gelang dem Kl. den Pkw auf dem Standstreifen zum Stehen zu bringen. Beim Platzen des linken Hinterreifens hatte sich die linke Seitenwand des Reifens vollständig gelöst; die gelösten Reifenteile beschädigten den Radkasten hinten links, die linke Seitenwand und den hinteren Stoßfänger. Der von der Bekl. beauftragte SV stellte fest, der geplatzte Reifen hinten links sei so zerstört, dass die Ursache für den Reifenschaden nicht ohne Weiteres festgestellt werden könne. Ein Fremdkörper in der Lauffläche sei nicht festzustellen gewesen.
2 Aus den Gründen:
"… Die zulässige Berufung des Kl. hat keinen Erfolg. Nach der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Reifen am Fahrzeug des Kl. am 11.11.2017 nicht durch das Eindringen eines Fremdkörpers geplatzt ist, sondern aufgrund eines vorher durch einen Montagefehler entstandenen Reifenschadens. Daher liegen die Voraussetzungen für einen Vollkasko-Versicherungsschutz nicht vor."
1. Für den Umfang des Vollkasko-Versicherungsschutzes ist die Regelung in Ziff. A.2.3 der AKB 2014 maßgeblich.
Entscheidend ist der Begriff des Unfalls. Für diesen Begriff ist von den Grundsätzen in der Leitentscheidung des BGH v. 6.2.1954 (NJW 1954, 596) auszugehen.
a) Wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt, handelt es sich um ein von außen mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis (…). Dabei kann dahinstehen, ob der Fremdkörper (ein spitzer Stein oder beispielsweise ein Nagel) auf der Fahrbahn liegt und vom Fahrzeug überfahren wird, oder ob sich schon vorher ein Fremdkörper im Reifen befindet, der während der Fahrt tiefer in den Reifen eindringt, so dass erst dadurch ein plötzlicher Druckverlust – oder ein Reifenplatzen – erfolgt (…). In jedem Fall handelt es sich um eine Einwirkung von außen, die unmittelbar und plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkt (…).
b) Der von den Parteien und vom LG erörterte Begriff des “Betriebsschadens' spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Während in älteren Versicherungsbedingungen teilweise der Begriff des “Betriebsschadens' verwendet wird, findet sich in den vorliegenden Bedingungen lediglich die Formulierung, dass ein “Brems- oder Betriebsvorgang oder reine Bruchschäden' sowie Schäden “durch Abnutzung' oder durch “Überbeanspruchung des Fahrzeugs' “nicht als Unfallschäden gelten' sollen. Bei diesen Formulierungen in den Versicherungsbedingungen der Beklagten handelt es sich nicht um Ausschlussklauseln, sondern um den Versuch einer Erläuterung des Begriffs “Unfall'. Die Formulierungen ändern nichts daran, dass der in der Rspr. des BGH geklärte Begriff des “Unfalls' entscheidend bleibt. Die zitierten Erläuterungen in Ziff. A.2.3.2 der...