StPO § 359 Nr. 5
Leitsatz
Werden Zeugen nicht gehört, weil der Angeklagte zum Einspruchstermin unentschuldigt nicht erschienen ist, muss für die Frage der Neuheit der Zeitpunkt der Verwerfung des Einspruchs maßgeblich sein, auch wenn die Zeugen im Termin nicht gehört wurden. Anderenfalls könnten die Vorschriften über das – zeitlich begrenzte – Wiedereinsetzungsverfahren durch das – zeitlich grundsätzlich unbegrenzte – Wiederaufnahmeverfahren umgangen werden.
LG Trier, Beschl. v. 20.5.2020 – 1 Qs 34/20
Sachverhalt
Durch Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften wurden eine Geldbuße sowie ein Fahrverbot verhängt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Verurteilte rechtzeitig Einspruch ein. Der Betr. bestritt seine Fahrereigenschaft und trug vor, Fahrer sei Herr X gewesen. Ferner hätten sich im Auto die Zeugen sowie die Ehefrau des Beschwerdeführers, Frau Y, befunden, die bestätigen könnten, dass Herr X Fahrer gewesen sei. Das AG lud daraufhin die Zeugen zum Termin. Zur Hauptverhandlung erschien lediglich der Verteidiger, der Betr. nicht. Das AG verwarf daraufhin den Einspruch. Der Antrag auf Wiedereinsetzung, die sofortige Beschwerde sowie die Gegenvorstellung und die Anhörungsrüge blieben erfolglos, ebenso die eingelegte Rechtsbeschwerde. Sodann hat der Verurteilte beantragt, das gegen ihn geführte Bußgeldverfahren wiederaufzunehmen und ihn freizusprechen. Es lägen neue Tatsachen bzw. Beweismittel vor, dass er das Fahrzeug nicht geführt habe. Hierzu benennt er die Zeugen, und gibt die Zeugenaussagen wieder. Zudem liege eine Bescheinigung seiner Arbeitgeberin vor, dass er gem. Auswertung seiner Einloggdaten seines elektronischen Chips am Tattag im Dienst gewesen sei. Schließlich sei auch seine Einlassung, dass er sich in der Zeit im Dienst befunden habe, als neue Tatsache zu werten.
Das AG hat den Antrag als unzulässig verworfen, da kein geeignetes Beweismittel angeführt worden sei. Der Betr. sei der ihm obliegenden gesteigerten Darlegungspflicht nicht nachgekommen. Es sei nicht ersichtlich, warum er die Tatsachen und Beweismittel nicht schon gegenüber der Verwaltungsbehörde bekannt gegeben habe. Das LG Trier hat die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
"… II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das AG hat den Wiederaufnahmeantrag im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen. Entgegen der Auffassung des AG fehlt es jedoch bereits an “neuen Tatsachen oder Beweismitteln'."
Im Fall des § 359 Nr. 5 StPO (i.V.m. § 85 Abs. 1 OWiG) ist aufgrund des Urteils oder des sonstigen Akteninhalts die Neuheit der Tatsachen bzw. Beweismittel zu prüfen. Tatsachen sind nicht deshalb neu, weil sie in dem Urteil nicht erwähnt sind. Ergeben sie sich aus den Akten, so spricht das dafür, dass sie dem Gericht bekannt waren (KK-StPO/Schmidt, 8. Aufl. 2019, StPO § 368 Rn 8 m.w.N.).
Die Entscheidung über die Frage der Neuheit setzt einen Vergleich voraus zwischen dem, was Gegenstand des ursprünglichen Bußgeldverfahrens war, und dem, was nun für das Wiederaufnahmeverfahren an Tatsachen und Beweismitteln vorliegt. Entscheidender Zeitpunkt, ab dem sich Neuheit ergeben kann, ist der Erlass des Urteils, soweit es in Rechtskraft erwächst. Bei Beschlüssen ohne vorangegangene Hauptverhandlung sowie bei Strafbefehlen ist der Akteninhalt entscheidender Anknüpfungspunkt, wobei auch erkennbar unberücksichtigte Akteninhalte als neu anzusehen sind (BeckOK StPO/Singelnstein, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 359 Rn 24-28). Gleiches gilt für Bußgeldbescheide.
Neu sind solche Tatsachen, die bei der Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts nicht berücksichtigt wurden. Der Grund der Nichtberücksichtigung ist dabei grds. unerheblich. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Gericht die Tatsachen aus dem Akteninhalt hätte kennen und berücksichtigen müssen oder ob der Angeklagte die Tatsache zwar kannte, aber (ggf. sogar absichtlich) nicht vorgebracht hat (BeckOK StPO/Singelnstein, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 359 Rn 24-28).
Beweismittel sind neu, wenn sie vom Gericht erkennbar nicht berücksichtigt wurden. Dies kann jedoch nicht schon daraus geschlossen werden, dass eine Auseinandersetzung mit Beweisergebnissen im Urteil nicht stattgefunden hat (BeckOK StPO/Singelnstein, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 359 Rn 24-28).
Zwar weist die Verteidigerin zutreffend darauf hin, dass bei Bußgeldbescheiden, die ohne Hauptverhandlung rechtskräftig werden, für die Frage der Neuheit grds. der Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides maßgeblich ist. Zu diesem Zeitpunkt waren die benannten Beweismittel nicht bekannt.
Vorliegend hat der Betr. jedoch gegen den Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch eingelegt und anschließend vor dem Einspruchstermin die Fahrereigenschaft bestritten und den Zeugen als Fahrer benannt. Zudem hat er als weitere Zeugen und benannt. Das AG hat dies auch zur Kenntnis genommen und die Zeugen und zum Einspruchstermin geladen. Die Zeugen wurden zwar le...