BGB § 253
Leitsatz
1. Grundsätzlich kann bei der Schmerzensgeldbemessung die zögerliche Regulierung des in Anspruch genommenen Versicherers eine Rolle spielen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Versicherung schon vorgerichtlich alle geltend gemachten materiellen Schäden weitgehend reguliert und auch auf das anstende Schmerzensgeld nicht unerhebliche Zahlungen (hier: 20.000 EUR) erbracht hat.
2. Maßgeblich für die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes sind die durch den Unfall verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten, wobei neben Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schäden und Funktionsbeeinträchtigungen ein besonderes Gewicht etwaigen Dauerfolgen zukommt. Einer Geschädigten, die im Alter von 29 Jahren einen unfallbedingten Dauerschaden am linken Knie mit einer dauerhaften Minderung der Erwerbstätigkeit von (derzeit) 20 % erlitten hat, ist ein Schmerzensgeld von 40.000 EUR zuzubilligen. Ausgehend von einer normalen Lebenserwartung wird die Geschädigte über 50 Jahre lang mit den Folgen des Unfalls konfrontiert sein und leben müssen, wobei eine weitere Verschlechterung der Kniefunktion bis hin zu einer Kniegelenksendoprothese nicht ausgeschlossen ist.
OLG Oldenburg, Urt. v. 2.7.2020 – 7 U 26/20
Sachverhalt
Die Kl. hat die beklagte Haftpflichtversicherung u.a. auf die Zahlung von Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls in Anspruch genommen. Die zum Unfallzeitpunkt 29 Jahre alte Kl. erlitt als Motorradfahrerin bei einer Kollision mit dem bei der Bekl. haftpflichtversicherten Kfz eine Tibiafraktur, eine komplexe Kniegelenkverletzung, eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes, eine Außenmeniskushinterhornläsion sowie eine Innenbandläsion. Das verletzte Knie wurde nach dem Unfall operativ versorgt. Die Kl. befand sich ab dem Unfalltag, dem 10.4.2011 bis zum 29.4.2011 in stationärer Behandlung, im Jahre 2012 schlossen sich zwei weitere Operationen an. Die überwiegend krankgeschriebene Kl. konnte nur zeitweise ihrem Beruf als Polizeibeamtin nachgehen. Ab Juni 2013 war sie im Außendienst tätig. Nach ihrer Ausbildung zum gehobenen Dienst wurde sie im Jahre 2014 zur Kommissarin (A9), ab dem 1.1.2020 wurde sie in die Planstelle einer Oberkommissarin befördert. Aufgrund ihrer unfallbedingt verbliebenen Beeinträchtigungen, die mit 20 % MdE bewertete worden sind, kann sie weder in einer Alarmabteilung der Polizei noch bei Großveranstaltungen eingesetzt werden. Die polizeiliche Schutzkleidung kann sie höchstens zwei Stunden tragen. Im Jahre 2018 erlitt die Kl. eine Prellung am Knie und im Jahre 2019 einen Korbhenkelabriss. Beide Unfälle wurden als Dienstunfälle anerkannt. Die Kl. erhielt im April 2013 eine Zahlung von 10.000 EUR von der Bekl. auf das Schmerzensgeld. Dem folgte im Jahre 23016 eine weitere Zahlung von 10.000 EUR.
Die Kl. hat ein Schmerzensgeld von mindestens 80.000 EUR sowie den Ersatz materiellen Schadens verfolgt. Der Senat verneinte eine schmerzensgelderhöhende zögerliche Regulierung und sprach ein weiteres Schmerzensgeld von 20.000 EUR zu.
2 Aus den Gründen:
"…"
[23] II. (…) Gem. §§ 7, 17, 11 S. 2 StVG i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB, § 115 VVG hat die Kl. gegen die Bekl. einen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgelds i.H.v. 3.000 EUR.
[24] Ein Schmerzensgeld von damit insg. 40.000 EUR ist angemessen, aber auch ausreichend, um die eingetretenen und vorhersehbaren zukünftigen immateriellen Beeinträchtigen der Kl. aufgrund des Verkehrsunfalls v. 10.4.2011 abzugelten.
[25] Verletzungsfolgen hingegen, die zum maßgeblichen Zeitpunkt – dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar ist, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgelds unberücksichtigt bleiben müssen, unterfallen dem bereits rechtskräftig zugesprochenen immateriellen Vorbehalt.
[26] Maßgeblich für die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgelds sind die durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten, wobei neben Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen ein besonderes Gewicht etwaigen Dauerfolgen der Verletzung zukommt (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 19.11.2014 – 17 U 160/14, BeckRS 2014, 124251 Rn 18 m.w.N.). Daneben können auch andere Aspekte noch eine Rolle spielen wie zum Beispiel das Regulierungsverhalten des in Anspruch genommenen VR. Dieses hat das LG jedoch aus Sicht des Senats zu Unrecht beanstandet, denn die Bekl. hat vorgerichtlich nicht nur die geltend gemachten materiellen Schäden der Kl. weitgehend ausreichend reguliert, wie das erstinstanzliche Urteil aufzeigt, sondern auch auf das Schmerzensgeld nicht unerhebliche Zahlungen von insgesamt 20.000 EUR erbracht. Von einem unangemessenen, nicht nachvollziehbaren Regulierungsverhalten des VR, was ggf. ein angemessenes Schmerzensgeld erhöhen kann, kann damit keine Rede sein.
[27] Zudem haben sich auch nicht alle von ...