BGB § 180 S. 1 § 242 § 254; VVG § 61 § 63 § 172
Leitsatz
1. Ein Versicherungsnehmer kann sich auf die Unwirksamkeit einer für ihn ohne Vertretungsmacht ausgesprochenen Kündigung eines Versicherungsvertrages nicht berufen, wenn er auf eine Kündigungsbestätigung des Versicherers nicht reagiert und in der Folgezeit auch keine Prämien mehr gezahlt hat.
2. Die an einen Versicherungsvertreter bei einem Versichererwechsel gestellten Anforderungen sind besonders hoch, wenn es um existenziell bedeutsame Verträge geht.
3. Eine Beratung durch einen Versicherungsvertreter, nach der ein übliche Bedingungen enthaltender Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund eines Berufswechsels wertlos geworden sei, ist falsch.
4. Hat der Versicherungsvertreter das Protokoll der Beratung selbst unterzeichnet, liegt keine ausreichende Dokumentation mit der Folge einer Beweislastumkehr vor.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.11.2021 – 5 U 20/19
Aus den Gründen
Der Kl. nimmt den Bekl., einen Versicherungsvertreter, wegen Verletzung von Beratungspflichten bei Auflösung eines alten und Neuabschluss eines Vertrages über eine Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch. Der Kl. unterhielt bei der W einen solchen, vor einer Berufstätigkeit als Dachdecker abgeschlossenen Vertrag. Mit einem mit dem Namen des Kl. unterzeichneten Schreiben vom 25.9.2014 erfolgte eine Kündigung; die W zahlte daraufhin den Rückkaufswert aus. Durch Vermittlung des Bekl. schloss der Kl. bei der X eine Existenzschutzversicherung ab, die Leistungen nur bei bestimmten schweren Erkrankungen versprach. In dem vom Bekl. ausgefüllten und mit dem Namen des Kl. unterzeichneten Antrag hatte der Kl. Gesundheitsfragen falsch beantwortet. Das war Anlass für die X, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Der Kl. will u.a. wegen eines Karpaltunnelsyndroms in seinem Beruf als Dachdecker berufsunfähig sein. Er wirft dem Bekl. vor, ihm bei der Kündigung des Vertrages bei der W falsch erklärt zu haben, die Versicherung sei für ihn wertlos, da er den Beruf gewechselt habe; er habe ihm auch versprochen, ihm eine höhere Leistungen versprechende Berufsunfähigkeitsversicherung zu vermitteln. Er habe dem Bekl. die Antragsfragen der X zutreffend beantwortet, dieser habe die Antworten nicht übernommen.
Aus den Gründen:
… 2. Der mit dem Hauptantrag verfolgte Schadenersatzanspruch, welcher auf die Behauptung des Kl. gestützt ist, ihm sei durch Pflichtverletzungen des Bekl. seit Oktober 2015 eine – von der … Lebensversicherung AG zu zahlende – Berufsunfähigkeitsrente von 1.000 EUR monatlich und die Freistellung von der Pflicht zur Zahlung von Versicherungsprämien in Höhe von insgesamt 1.422 EUR entgangen, ist bereits nicht schlüssig dargelegt.
a. Insoweit beruft sich der Kl. erfolglos darauf, der Bekl. habe ihm bei der Vermittlung des Vertrages mit der … zugesagt, dieser versichere auch das Risiko der Berufsunfähigkeit. Sollte diese Behauptung zutreffen, könnte der Beklagte aus der entsprechenden Pflichtverletzung … gleichwohl nicht im Sinne einer Erfüllungshaftung darauf in Anspruch genommen werden, den Kl. so zu stellen, als sei die Angabe zutreffend gewesen.
Unter Geltung des alten, mit Ablauf des Jahres 2007 außer Kraft getretenen Versicherungsvertragsgesetzes war in der Rechtsprechung eine Vertrauens- und Erfüllungshaftung des VR für Zusagen und für die Unterlassung der Korrektur von Fehlvorstellungen des VN im Zuge der Vertragsanbahnung anerkannt (…). Ob dieser Rechtsprechung mit der Neufassung des VVG und der in § 6 VVG enthaltenen Regelung der Beratungs- und Aufklärungspflichten des VR und seiner Vermittler die Grundlage entzogen worden ist (dafür Armbrüster in: MüKo zum VVG, 2. Aufl., § 6 Rn. 332, 334), …) bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn diese Vertrauens- und Erfüllungshaftung traf nur den VR, nicht aber den für ihn tätigen Versicherungsvertreter …
b. Die behauptet unzulängliche Beratung seitens des Bekl. über den Umfang des Versicherungsschutzes des Kl. aus dem Vertrag mit der X kann einen Schadenersatzanspruch des Kl. auch nicht deshalb begründen, weil der Kl. bei anderer Beratung durch den Bekl. einen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag abgeschlossen hätte, aus dem ihm eine Rente in der begehrten Höhe von 1.000 EUR monatlich zugestanden hätte. Dass der Kl. dies bei richtiger Beratung durch den Bekl. getan hätte, behauptet er selbst nicht. Im übrigen wäre es dem Kl. auch nach seinem eigenen Vortrag – insbesondere im Hinblick auf die nur kurz zurückliegende, über ein halbes Jahr dauernde Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung – überhaupt nicht möglich gewesen, bei wahrheitsgemäßer Angabe dieser Behandlung uneingeschränkten Versicherungsschutz in einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu erhalten. Daher hätte auch jeder Versicherungsvermittler dem Kl. nur raten dürfen, seinen bestehenden Versicherungsschutz bei der Württembergischen nicht aufzugeben; der Rat zum Abschluss eines anderen Vertrages wäre demgegenüber falsch gewesen.
3. Dem ...