StVG § 7 § 17; SGB VII § 2 § 104 § 105
Leitsatz
1. Es ist der Betriebsgefahr eines Fahrzeugs zuzurechnen, wenn ein von einem Fahrzeug überrollter, aber dennoch überlebender Hund in engem zeitlich-örtlichem Zusammenhang danach seinen Halter beißt.
2. Im Rahmen einer langjährigen Jagdfreundschaft stellt der alleinige Transport von Baumaterialien für einen Hochsitzbau keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit dar, die eine Haftungsprivilegierung i.S.d. §§ 104 ff. SGB VII begründet.
3. Zur Abwägung der Betriebsgefahr eines Kfz einerseits und der Tiergefahr eines Hundes andererseits (hier mit 75:25 zu Lasten der Betriebsgefahr des Kfz bemessen).
OLG Celle, Urt. v. 5.10.2022 – 14 U 19/22
1 Sachverhalt
[1] I. Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung des Zeugen B., der am 28.4.2017 durch einen Hundebiss seines eigenen Rauhaardackels verletzt wurde. Unmittelbar vor dem Biss wurde der Hund durch ein vom Beklagten zu 1 gesteuertes Fahrzeug überfahren, dessen Halter der Beklagte zu 1 ist, und das bei der Beklagten zu 2 versichert ist.
[2] Der Zeuge B. ist im Bereich M. Jagdpächter. Er und der Beklagte zu 1 kennen sich schon seit Jahren und sind freundschaftlich verbunden. Beide teilen ein Interesse für die Jagd. Der Beklagte zu 1 hatte früher eine Jagd in S., wo der Zeuge als Gast des Beklagten zu 1 jagen durfte. Nachdem der Beklagte zu 1 seine Jagd verloren hatte und der Zeuge der Pächter der Gemeindejagd M. wurde, kam der Beklagte zu 1 ab und an zu diesem als Jagdgast und half bei gemeinschaftlichen Unternehmungen, wie bspw. dem Anlegen eines Pirschpfades oder dem Bau von Jagdeinrichtungen.
[3] Am 28.4.2017 brachte der Beklagte zu 1 auf Bitten des Zeugen Materialien für einen Hochsitz, den der Zeuge B. an einem vorher gemeinsam besprochenen Ort im Wald bauen wollte. Der Beklagte zu 1 befuhr den Waldweg zu diesem Zweck mit seinem geländegängigen Pick Up. Der Zeuge befand sich mit seinem Rauhaardackel schon vor Ort, den er an einer langen Leine mit sich führte. Nachdem die Beteiligten mit den Arbeiten begonnen hatten, wollte der Beklagte zu 1 sein Fahrzeug umsetzen. Beim Anfahren übersah er den Hund des Zeugen B., der von dem rechten Vorderrad des Beklagtenfahrzeugs überfahren wurde. Als der Zeuge unmittelbar nach dem Unfall seinen wie leblos daliegenden Hund aufhob, biss dieser dem Zeugen plötzlich tief in das linke Handgelenk.
[4] Die tiefe Bissverletzung entzündete sich im Verlauf der Abheilung und musste operiert werden. Der Zeuge B. war bis zum 17.9.2017 arbeitsunfähig, es entstanden Heilbehandlungskosten in Höhe von 11.221,53 EUR. Zwischen dem 1.5.2017 und dem 9.6.2017 erhielt der Zeuge 2.195,65 EUR Entgeltfortzahlung.
[5] Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
[6] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Beklagten komme eine Haftungsprivilegierung gem. §§ 104 ff. SGB VII zugute. Der Beklagte zu 1 habe unter arbeitnehmerähnlichen Umständen dem Zeugen geholfen, den Hochsitz zu errichten. Dabei habe seine Arbeit auch einen wirtschaftlichen Wert gehabt. Der Beklagte zu 1 habe über ein erforderliches geländegängiges Fahrzeug verfügt, das sich der Zeuge ansonsten hätte anmieten oder anders hätte beschaffen müssen.
[7] Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.
[8] Sie behauptet, es habe kein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis gegeben, das die Anwendung eines Haftungsprivilegs rechtfertige. Es habe sich bei der Hilfe des Beklagten zu 1 um eine Gefälligkeit im Rahmen einer langjährigen Freundschaft und eines gemeinsamen Hobbys gehandelt. Bei der Verabredung zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort habe es sich nicht um eine "Weisung", sondern um eine Notwendigkeit gehandelt.
[9] Überdies hätte sich der Schaden, selbst wenn man eine "wie-Beschäftigung" unterstellen wollte, nicht bei der Ausführung dieser Tätigkeit ereignet, sondern allenfalls bei Gelegenheit. Es habe sich vorliegend nur um die Hinfahrt zum "Arbeitsort" gehandelt, bei der der Unfall passiert sei.
[10] Schließlich gehe das Landgericht von einer falschen Tatsache aus, wenn es annehme, der Zeuge sei der Pächter der betroffenen Fläche gewesen. Der Zeuge B. habe den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 31.1.2022 angerufen, um den Ausgang des Prozesses zu erfahren. In Laufe des Telefonats habe er angegeben, er sei in der Vergangenheit der Hauptpächter der Gemeindejagd M. gewesen. Dies habe er vor Gericht auch so gesagt. Dies sei schon lange nicht mehr so. Der Unfall habe sich im Übrigen auch gar nicht in der Gemeindejagd ereignet. Zum Unfallzeitpunkt habe er nur über einen unentgeltlichen Begehungsschein verfügt. Dieser werde als Anlage K8 eingereicht.
[11] Die Klägerin beantragt,
[12] 1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 11.221,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.5.2019 zu zahlen;
[13] 2. die Beklagten werden als...