BGB § 280 § 675; VVG § 86 § 125
Leitsatz
Der Deckungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer schließt die Annahme eines (Kosten-)Schadens des Mandanten infolge einer Beratungspflichtverletzung des Rechtsanwalts auch dann nicht aus, wenn der Mandant nur einen Auftrag unter der Bedingung einer Deckungszusage erteilt.
BGH, Urt. v. 29.9.2022 – IX ZR 204/21
1 Sachverhalt
Der Kl. nimmt den beklagten Rechtsanwalt aus abgetretenem Recht seines Rechtsschutzversicherers auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch. Der Schaden soll dadurch entstanden sein, dass der Bekl. einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit geführt habe.
Der Bekl. erwirkte in 2009 im Auftrag des Kl. gegen K. A. ein Versäumnisurteil über eine Hauptforderung in Höhe von 30.000 EUR nebst Zinsen. Im Oktober 2011 beauftragte der Kl. den Bekl., gegenüber der Bank des A. als Drittschuldnerin vorzugehen und hierfür bei dem Rechtsschutzversicherer des Kl. eine Deckungszusage zu erwirken. Nachdem der Rechtsschutzversicherer die Deckungszusage erteilt hatte, beantragte der Bekl. den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bezüglich angeblicher Ansprüche des A. gegen die Bank "aus allen bestehenden Geschäftsverbindungen, sämtlicher Art und Rechtsnatur", der antragsgemäß erlassen wurde. Nach Zustellung des Beschlusses erklärte die Bank, eine Kontoverbindung zu A. würde nicht mehr bestehen. Der Bekl. erhob Klage gegen die Bank, gerichtet auf Auskunft und Zahlung. Das Landgericht wies die Klage ab. Das OLG erteilte einen Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe, da die gepfändete Forderung in dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht hinreichend bestimmt sei. Mit Beschl. v. 10.12.2012 wies das OLG die Berufung zurück.
Der Kl. verlangt mit seiner Klage Schadensersatz wegen der erfolglosen Prozessführung gegen die Bank. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl., mit der nur noch die Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht werden, hat das BG zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
Die Revision hat Erfolg. …
[6] Das BG hat gemeint, der Rechtsschutzversicherer des Kl. habe keine Schadensersatzforderung gegen den Bekl. erlangt, die er an den Kl. hätte abtreten können. …
[8] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[9] Ein unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwaltshaftung in Betracht kommender und für das Revisionsverfahren zu unterstellender Schadensersatzanspruch des Kl. gegen den Bekl. wäre auf den Rechtsschutzversicherer des Kl. übergegangen (§ 86 Abs. 1 VVG). Dieser Anspruch konnte an den Kl. zurückabgetreten werden.
[10] 1. Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt. Nach dieser Regelung geht ein dem VN gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den VR über, soweit dieser den Schaden ersetzt. Hierbei handelt es sich um einen gesetzlichen Anspruchsübergang im Sinne von § 412 BGB (vgl. BGH NJW 2021, 3324 Rn 17 m.w.N.). Die Voraussetzungen für den Anspruchsübergang sind erfüllt.
[11] a) Der streitgegenständliche Schadensersatzanspruch des Kl. gegen den Bekl. ist ein Ersatzanspruch im Sinne des § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG.
[12] aa) Der Annahme eines Ersatzanspruchs gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG steht der versicherungsvertragliche Deckungsanspruch nicht entgegen. Dieser schließt die Annahme eines (Kosten-)Schadens des VN nicht aus (…). Die Auffassung des BG, der Kl. habe bezüglich der angefallenen Rechtsverfolgungskosten zu keinem Zeitpunkt einen Vermögensschaden erlitten, der eine Schadensersatzforderung gegen den Bekl. begründen würde, die nach § 86 Abs. 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer habe übergehen können, ist nicht zu teilen.
[13] bb) Ausgangspunkt einer Schadensberechnung ist die sogenannte Differenzhypothese. Hiernach beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit ein nach den §§ 249 ff. BGB zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Erforderlich ist ein Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen finanziellen Positionen umfasst (BGH ZIP 2022, 1647 Rn 13 m.w.N.). Diese Differenzrechnung muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Erforderlich ist also eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes (BGH NJW 2021, 53 Rn 25; vgl. auch BGHZ 75, 366 Rn 28; BGH WM 2014, 231 Rn 17; VersR 2020, 174 Rn 15; BGHZ 230, 224 Rn 20).
[14] cc) In der Rechtsschutzversicherung stellt der Anspruch auf Kostenbefreiung die Hauptle...