VVG § 3 Abs. 3; BGB § 242 § 810; DS-GVO Art. 15

Leitsatz

1. Ein VN, der In der privaten Krankenversicherung gezahlte Beiträge zurückverlangen will, hat Anspruch auf – allein – die Erteilung von Nachtragsversicherungsscheinen aus vergangenen Jahren aus § 3 Abs. 3 VVG, wenn er darlegt und beweist, dass er über die ihm erteilten Versicherungsscheine nicht mehr verfügt.

2. Kein Anspruch auf Herausgabe von Unterlagen zur Beitragsanpassung ergibt sich aus § 810 BGB und aus Art. 15 DS-GVO.

3. Ein inhaltsgleicher Anspruch auf Überlassung vergangener Nachtragsversicherungsscheine kann sich darüber hinaus aus Treu und Glauben, § 242 BGB, ergeben, wenn dargetan ist, dass für einen Rückforderungsanspruch oder eine zukünftige teilweise Beitragsbefreiung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht und der Berechtigte In entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts Im Ungewissen ist.

4. Unter derartigen Vorzeichen ist eine Stufenklage, für die es genügt, dass nur ein Teil der für die Bezifferung benötigten Informationen im Wege der Auskunftsklage zu erlangen ist, zulässig.

OLG Schleswig, Urt. v. 18.7.2022 – 18 U 181/21

1 Sachverhalt

Der Kl. unterhält bei der Bekl. seit dem Dezember 1987 eine private Kranken- und Pflegeversicherung, in der verschiedentliche Beitragsanpassungen stattfanden, über die die Bekl. den Kl. zuvor schriftlich informierte. Seit dem August 2020 wird, da der Kl. seiner Beitragszahlungspflicht nicht nachgekommen war, der Krankenversicherungsvertrag im Notlagentarif geführt.

Mit anwaltlicher E-Mail vom 7.10.2020 ließ der Kl. die Übersendung von Kopien sämtlicher Unterlagen zu sämtlichen Beitragserhöhungen seit dem Januar 2010 verlangen, die ihm nicht mehr vorlägen. Die Bekl. wies das mit Schreiben vom 2210.2020 unter Verweis auf eine ungenügende Vollmacht, die den Gegenstand der Vertretung nicht erkennen ließ, zurück.

Mit seiner im Dezember 2020 eingereichten und im April 2021 zugestellten Klage hat der Kl. die Verurteilung der Bekl. zur Auskunft über alle Beitragsanpassungen ab dem Juni 2014 unter Beifügung geeigneter Unterlagen zu Höhen und Tarifen, zu den übermittelten Anschreiben und Nachträgen sowie zu den Begründungsschreiben und Beiblättern verlangt, weiter die Feststellung, dass die noch näher zu bezeichnenden Erhöhungen unwirksam seien und er nicht zur Beitragszahlung verpflichtet sei, sowie schließlich die Rückzahlung eines nach der Auskunft noch zu beziffernden Betrages.

2 Aus den Gründen:

A. Der Kl. kann, was sein mit dem Antrag zu 1 verfolgtes Auskunftsbegehren angeht, die Ausstellung der ihm im Zuge von Beitragserhöhungen erteilten Nachtragsversicherungsscheine verlangen, aber auch nur diese.

1. Ein Anspruch auf die erneute Erteilung der Nachtragversicherungsscheine ergibt sich für den Zeitraum von Juni 2014 bis zum Dezember 2018 aus § 3 Abs. 3 Satz 1 VVG. Nach dieser Vorschrift kann der VN, ist ein Versicherungsschein abhandengekommen oder vernichtet, vom VR die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheines verlangen. Unter keinen Umständen steht dem entgegen, dass der Kl. sich erstinstanzlich auf § 3 Abs. 3 VVG nicht gestützt hat – iudex novit curia. Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen vor.

a) Die Vorschrift bezieht sich auch auf Nachträge (vgl. Prölss/Martin-Rudy, VVG, Kommentar, 31. Auflage, § 3 Rn 1), das ergibt sich – "ein Versicherungsschein" – schon aus dem Wortlaut.

Da der Versicherungsschein den VN über den Inhalt des Vertrages informieren soll (…) und – wie nicht zuletzt die hier gegebene Konstellation zeigt – auch ein Interesse an der Wiederbeschaffung überholter Versicherungsscheine bestehen kann, besteht auch kein zureichender Grund für eine Beschränkung des Anspruchs auf den aktuell geltenden Versicherungsschein, dies umso weniger, da gemäß § 3 Abs. 5 VVG die Kosten für die Erteilung eines neuen Versicherungsscheins vom VN zu tragen und auf Verlangen vorzuschießen sind. Das Abhandenkommen umfasst auch das freiwillige Verlieren ( Langheid/Rixecker-Rixecker, VVG, Kommentar, 6. Auflage § 3 Rn 5; …).

Nachdem es gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 VVG einer Kraftloserklärung nur bedarf, wenn der Versicherungsschein der Kraftloserklärung unterliegt, es sich also (wie hier nicht) um eine Orderpolice handelt oder um einen Versicherungsschein, der ein Legitimationspapier (§ 808 Abs. 2 Satz 2 BGB) ist (vgl. Prölss/Martin-Rudy, § 3 Rn 8), und nachdem, wie schon erwähnt, der VN die Kosten der Ersatzausstellung zu tragen hat, können an die Darlegung des Verlusts keine hohen Anforderungen gestellt werden.

Der Anspruch lässt sich auch nicht schon im Ansatz damit verneinen, dass der Kl. nicht nur die Nachträge, sondern umfassend Auskunft über alle mit dem Erhöhungsverlangen überlassenen Unterlagen verlangt. Die Nachträge zum Versicherungsschein sind Bestandteil des Auskunftsantrags und werden auch in der Klagbegründung ausdrücklich erwähnt, sodass – auch wenn weder § 3 Abs. 3 VVG noch die Wendung der "Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins" Erwähnung finden – das (Teil-)Ziel des Rechtsschutzbegehrens hinreichend erkennbar...

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