VVG § 83; AKB A 2.2.1.4
Leitsatz
1. Zum Nachweis der Voraussetzungen des sog. Rettungskostenersatzes beim Ausweichen eines Motorradfahrers vor Rehwild.
2. Hat ein Motorradfahrer beim Einfahren in eine Rechtskurve aus geringer Entfernung Rehe wahrgenommen, die sich in unmittelbarer Nähe des rechten Straßenrandes hinter einem Busch befinden, und gerät er beim anschließenden Versuch, nach links auszuweichen, von der Straße ab, kann eine objektiv gebotene Rettungshandlung vorliegen und der Teilkaskoversicherer gehalten sein, dadurch entstandene Schäden am Fahrzeug und an der Kleidung des Fahrers als Aufwendungen zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles zu ersetzen.
3. Einem Beweisantrag, "Plausibilitätsdefiziten" durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen, muss ohne Konkretisierung der bezweifelten Behauptung einer Partei nicht entsprochen werden. (Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 23.11.2022 – 5 U 120/21
1 Sachverhalt
Der Kl. begehrt von seinem Fahrzeugversicherer Ersatz für Schäden anlässlich eines angeblichen Wildunfalles. Am 7.9.2020 war der Kl. mit seinem Sohn auf dem versicherten Motorrad in Frankreich unterwegs, wobei es zu einem Unfall kam und das Motorrad beschädigt wurde.
Er hat behauptet, in Höhe einer Kurve, die er mit geschätzt 70 km/h habe befahren wollen, hätten sich hinter einem Busch mehrere Rehe aufgehalten, die die Straße in diesem Moment hätten überqueren wollen; er habe versucht den Rehen auszuweichen, sei dabei auf den Grünstreifen gekommen und gestürzt, durch den Sturz seien seine Motorradkleidung und sein Helm sowie die Motorradkleidung und der Helm seines Sohnes total beschädigt worden.
2 Aus den Gründen:
2. Ein Anspruch des Kl. auf teilweise Erstattung unfallbedingt entstandener Schäden im vom Landgericht zugesprochenen Umfange besteht allerdings unter dem Aspekt des Rettungskostenersatzes (§§ 83, 82,90 VVG). Wie schon das LG, hält auch der Senat die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Anspruch in Betracht kommt, nach erneuter Anhörung des Kl. und Vernehmung seines als Zeugen für den Hergang benannten Sohnes sowie unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände, einschließlich der von der Bekl. geltend gemachten Einwände, mit dem Maßstab des § 286 ZPO für erwiesen.
a) Gemäß § 83 Abs. 1 VVG hat der VR Aufwendungen des VN nach § 82 Abs. 1 und 2 VVG, die dieser zur Schadensabwendung oder -minderung tätigt, auch wenn sie erfolglos geblieben sind, insoweit zu erstatten, als der VN sie den Umständen nach für geboten halten durfte. § 90 VVG erklärt diese Vorschriften im Bereich der Sachversicherung für entsprechend anwendbar auf solche Aufwendungen, die zeitlich vor dem Eintritt eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles gemacht wurden, um ihn abzuwenden oder in seinen Auswirkungen zu mindern (sog. "Vorerstreckung"; vgl. Senat, VersR 2012, 55 …) "Aufwendung" meint hierbei jede – auch unfreiwillige – Vermögensminderung, die adäquate Folge einer Maßnahme ist, die der VN zur Schadensabwehr oder -minderung gemacht hat. Grundsätzlich kommen hierfür auch – wie vorliegend geltend gemacht – Vermögensminderungen wegen der Beschädigung von Sachen in Betracht (…). Ersatzfähig sind danach insbesondere die Folgen von Fahrmanövern, die der jeweilige Fahrer nach den Umständen, insbesondere zur Vermeidung des Versicherungsfalls "Zusammenstoß mit Tieren", für erforderlich halten durfte (OLG Koblenz, VersR 2012, 54; Klimke, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., A.2.2.1 AKB Rn 70).
b) Wie das LG, hält der Senat es nach erneuter Anhörung des Kl. und Vernehmung seines Sohnes mit der dafür erforderlichen hinreichenden Gewissheit für erwiesen, dass im Streitfall die Voraussetzungen des begehrten Rettungskostenersatzes vorgelegen haben.
aa) Dafür, dass die entstandenen Schäden im Zusammenhang mit der Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles im Sinne des § 90 VVG entstanden sind, trägt freilich der VN die Darlegungs- und Beweislast (Senat, VersR 2012, 55; OLG Köln, RuS 2005, 457; OLG Jena, NVersZ 2000, 33; OLG Düsseldorf, 2000, 493). Für diesen Nachweis gilt der Maßstab des § 286 ZPO; Beweiserleichterungen, wie sie etwa für Fälle der Entwendung eines Kraftfahrzeuges anerkannt sind, kommen dem VN nicht zugute (…). Der danach erforderliche Nachweis erfordert die Überzeugung des Richters von der zu beweisenden Tatsache im Sinne eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (…).
bb) Nach dem Ergebnis der – teilweise wiederholten – Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung auch aller weiteren Erkenntnisse hat der Senat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die vom Kl. getätigten Aufwendungen – hier: die durch Beschädigung von Motorrad und Kleidung verursachten Kosten – zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles – in Gestalt eines Zusammenstoßes des in Fahrt befindlichen Fahrzeugs mit Tieren, vgl.A.2.2.1.4 AKB – getätigt wurden. Denn danach steht fest, dass der Kl. n...