OWiG § 62
Leitsatz
Eine Maßnahme ist nur dann selbstständig anfechtbar, wenn sich ihre prozessuale Bedeutung nicht ausschließlich in der sachlichen Aufklärung erschöpft, sondern wenn sie darüber hinaus in den Rechtskreis einer Person in materieller oder prozessualer Hinsicht eingreift. Unanfechtbar ist mithin unter anderem die Ablehnung einer Beweisanregung. (Leitsatz der Redaktion)
AG Helmstedt, Beschl. v. 5.12.2022 – 15 OWi 692/22
1 Sachverhalt
Das AG Helmstedt hat den Antrag der Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom verworfen.
2 Aus den Gründen:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist bereits unzulässig.
Gegen Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden, können der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, nach § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG gerichtliche Entscheidung beantragen. Wie aus § 62 Abs. 1 S. 2 OWiG, der § 305 S. 2 StPO nachgebildet ist, folgt, muss die Maßnahme aber selbstständige Bedeutung haben; sie darf überdies nicht nur der Vorbereitung der Entscheidung dienen, ob ein Bußgeldbescheid erlassen oder das Verfahren eingestellt wird (vgl. Kurz, in: KK-OWiG, 4. Auflage 2014, § 62, Rn 5). Eine Maßnahme ist also nur dann selbstständig anfechtbar, wenn sich ihre prozessuale Bedeutung nicht ausschließlich in der sachlichen Aufklärung erschöpft (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 16.4.1999 – 2 Ws 117/99, Rn 2, juris), sondern wenn sie darüber hinaus in den Rechtskreis einer Person in materieller oder prozessualer Hinsicht eingreift (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Auflage 2017, § 305, Rn 5). Unanfechtbar ist mithin unter anderem die Ablehnung einer Beweisanregung (vgl. Kurz, a.a.O., Rn 7).
Die Bußgeldbehörde hat unter dem 13.10.2022 Akteneinsicht gewährt und damit sämtliche Beweise, auf die der Schuldvorwurf gestützt wird, offengelegt. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung richtet sich mithin nicht gegen die Nichtgewährung von Akteneinsicht, sondern gegen auf die Ablehnung einer Beweisanregung (Beiziehung d. gesamten Messreihe), welche – wie ausgeführt – unanfechtbar ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG.
Mitgeteilt von RA Christian Janeczek, Dresden
3 Anmerkung:
Wieder einmal eine Entscheidung zum Akteneinsichtsrecht, die so besser nicht hätte ergehen sollen. Abgesehen davon, dass es angesichts der Leitentscheidungen des BVerfG aus dem November 2020 (NZV 2021, 41 ff.) und nachfolgender Tat- und Instanzgerichte schwer nachvollziehbar ist, dass ein Kommentar aus dem Jahr 2014 zitiert wird, ist die hier geäußerte Ansicht des AG Helmstedt falsch, da von falschen Voraussetzungen ausgegangen wird. Die Überprüfung von Entscheidungen der Bußgeldbehörde zur (versagten) Akteneinsicht ist ein klassischer zulässiger Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung (BeckOK OWiG/Euler OWiG § 62 Rn 5). Der Antrag auf erweiterte Akteneinsicht, Art. 6 EMRK, 20 Abs. 3 GG, ist eine selbstständige Maßnahme (Einsicht in Messdaten eines Geschwindigkeitsmessgeräts vgl. OLG Celle BeckRS 2016, 20705 oder in Reparatur- und Wartungsunterlagen OLG Brandenburg BeckRS 2016, 20683 und OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2016, 320; s.a. BeckOK StVR/Lay OWiG § 62 Rn 34, 35 m.w.N.). Spätestens seit der Entscheidung des BVerfG sollte klar sein, dass ein Akteneinsichtsantrag noch nie ein Beweisantrag, ein Beweisermittlungsantrag oder eine Beweisanregung war, ist oder sein wird und deshalb nicht nach § 77 OWiG oder gar § 305 StPO zu messen sein darf. Der Betroffene soll Informationsparität zu Behörde erhalten. Er betreibt Aufklärung aus eigenem Interesse und auf eigenes Kostenrisiko. Dies tangiert die gerichtliche Aufklärung schlichtweg nicht, sodass auch zu keinem Zeitpunkt mit einem Akteneinsichtsantrag die spätere Urteilsfindung beeinflusst werden könnte. Dass aus materiell-rechtlichen Gründen möglicherweise kein Anspruch auf Einsicht in die gesamte Messreihe besteht, kann allenfalls zur Unbegründetheit des Antrags führen, nicht aber zur Unzulässigkeit.
RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl
zfs 3/2023, S. 173 - 174