OWiG § 73 Abs. 2
Leitsatz
Die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG wirkt bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins fort, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin nicht erneut beantragt und erlassen werden muss.
BGH, Beschl. v. 10.10.2023 – 4 StR 94/22
1 Sachverhalt
Gegen den Betroffenen erging wegen eines fahrlässigen qualifizierten Rotlichtverstoßes in Tateinheit mit fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften ein Bußgeldbescheid über 250 EUR mit Fahrverbot. Hiergegen hat der Betroffene form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Nach Aussetzung der Hauptverhandlung hat das zuständige AG den Betroffenen und seinen Verteidiger zu einem neuen Hauptverhandlungstermin geladen. Mit Beschluss ist der Betroffene auf den für ihn von seinem Verteidiger gestellten Antrag hin, in dem er (nur) die Fahrereigenschaft eingeräumt hat, "antragsgemäß vom persönlichen Erscheinen entbunden" worden. Später hat das AG den Hauptverhandlungstermin verlegt. Die Verteidiger und Betroffenem zugestellte "Terminverlegung" nebst Ladung enthielt – jenseits des Hinweises, dass bislang kein Vortrag zum Fahrverbot erfolgt und eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht möglich sei, worüber der Verteidiger seinen Mandanten informieren solle – keine inhaltlichen Ausführungen oder Anordnungen. Zum Hauptverhandlungstermin sind weder der Verteidiger noch der Betroffene erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin den Einspruch verworfen.
Mit seiner Rechtsbeschwerde bemängelt der Betroffene die Anwendung von § 74 Abs. 2 OWiG im vorliegenden Fall, da er wirksam von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden gewesen sei; das angefochtene Urteil verletze ihn in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Das KG hat die Sache dem BGH zur Beantwortung folgender Rechtsfrage vorgelegt: "Führt die Verlegung eines Hauptverhandlungstermins dazu, dass die vorangegangene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens “verbraucht‘ ist, so dass sie für den neuen Termin gegebenenfalls neu beantragt und angeordnet werden muss?"
Der BGH hat auf die Vorlagefrage des KG wie im Leitsatz tenoriert entschieden.
2 Aus den Gründen:
[…] II.
[7] Die Vorlage ist gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG zulässig.
[8] 1. Die Vorlegungsfrage betrifft die Reichweite einer gerichtlichen Entbindungserklärung nach § 73 Abs. 2 OWiG und damit eine Rechtsfrage. Diese ist auch entscheidungserheblich. Das KG will eine Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er § 74 Abs. 2 OWiG infolge seiner erfolgten Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen als verletzt rügt, für nicht durchgreifend erachten und seine Rechtsbeschwerde verwerfen. Dabei will es in der Sache von tragenden Gründen der Entscheidung des OLG Bamberg vom 30.3.2016 zur Auslegung des § 73 Abs. 2 OWiG abweichen. Die dem vorgelagerte Annahme des KG, dass die Verfahrensrüge zulässig und deshalb insoweit eine Entscheidung in der Sache geboten sei, ist nicht willkürlich (vgl. hingegen zu den Vortragserfordernissen bei verweigerter Entbindung OLG Hamm, zfs 2015, 52; OLG Rostock, DAR 2008, 400, 401) und damit für den Senat im Vorlageverfahren bindend (vgl. BGH, Beschl. v. 16.3.2023 – 4 StR 84/22 Rn 8; Beschl. v. 9.10. – 4 StR 652/17, NStZ-RR 2019, 60, 61).
[9] 2. Die Vorlegungsfrage ist allerdings zu weit gefasst. In ihrer Formulierung durch das Kammergericht schließt sie hier nicht vorliegende Fallkonstellationen ein, in denen die Reichweite des Entbindungsbeschlusses jeweils besonderer Betrachtung bedürfen könnte. Dies steht etwa bei Entbindungsanträgen in Rede, die sich – ohne eine Terminsverlegung zu begehren – auf die Hauptverhandlung an einem bestimmten Tag beschränken. Eigener Beurteilung bedürfen womöglich auch Gerichtsbeschlüsse, die ungeachtet eines allgemein für "die Hauptverhandlung" gestellten Antrags den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen an einem mit Datum benannten Terminstag entbinden (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe, zfs 2018, 471, 472; König, DAR 2023, 232, 233 f.). Die zu der Vorlage führende Divergenz erfasst demgegenüber allein die gesetzliche Grundkonstellation eines allgemeinen Entbindungsantrags und eines antragsgemäß ergehenden Entbindungsbeschlusses.
[10] Der Senat fasst daher die Vorlegungsfrage wie folgt:
"Ist die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG infolge der Verlegung des Hauptverhandlungstermins “verbraucht‘, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin gegebenenfalls erneut beantragt und erlassen werden muss?"
[11] III. Der Senat entscheidet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Die Fortwirkung des Entbindungsbeschlusses bei einer Verlegung des Hauptverhandlungstermins ergibt sich aus Wortlaut, Z...