BGB § 249 Abs. 2, ZPO § 287
Leitsatz
Dem Marktpreisspiegel Mietwagen nach Fraunhofer liegen seit der Ausgabe des Jahres 2021 Erhebungsmethoden zugrunde, die erhebliche Zweifel daran begründen, dass die Ergebnisse den relevanten Mietmarkt wenigstens einigermaßen realistisch widerspiegeln. (Leitsatz der Redaktion)
LG Bonn, Urt. v. 22.9.2023 – 1 O 36/23
1 Sachverhalt
Die Klägerin begehrt von dem beklagten Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit aus abgetretenem Recht den Ersatz von Mietwagenkosten.
Zur Ermittlung der ortsüblichen Kosten für die Anmietung eines Mietwagens im sogenannten Normaltarif stehen schwerpunktmäßig zwei Tabellenwerke zur Verfügung: der Automietpreisspiegel nach eurotaxSchwacke sowie der Marktpreisspiegel Mietwagen nach Fraunhofer IAO. Letzterer Anbieter ermittelt seine Preisinformationen im Internet über eine Preissuchmaschine auf elektronischem Wege. Dabei liegen Fraunhofer keine anderen Informationen vor als diejenigen, die man auf einem Screenshot der Internetseiten der Anbieter sehen kann. Im Internet bieten Mietwagenunternehmen, im Gegensatz zu üblichen Preislisten, Fahrzeuge auf Basis des sogenannten ACRISS-Systems an. Dies ist eine Mietwagenklassifizierung nach Ausstattungsmerkmalen für touristische Zwecke im Internet. Die Autovermieter bieten dort also keine konkreten Fahrzeuge bzw. Fahrzeuggruppen, sondern lediglich Fahrzeuge mit bestimmten Ausstattungsmerkmalen an, welche durch 4 Buchstaben gekennzeichnet sind. Diese sind: Fahrzeugkategorie (Fahrzeugausmaße), Bauart (Limousine, Kombi, SUV etc.), Getriebe ("Unbekannt", Schaltung, Automatik, Allrad), Treibstoff ("Unbekannt", Diesel, Super, Hybrid etc.) und Klima (AC). Information über den Anschaffungspreis der angebotenen Mietwagen sind nicht abrufbar.
Am 22.11.2022 kam es gegen 15:37 Uhr in A zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Zedenten, Herrn B, und dem Unfallgegner, dessen Fahrzeug (Fahrzeuggruppe 9) zum Zeitpunkt des Unfalles beim Beklagten haftpflichtversichert war. Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach zu 100 % ist unstreitig.
Die Klägerin, ein Autovermietungsunternehmen, schloss mit dem Zedenten am 23.11.2022 einen Mietvertrag über einen Audi (Fahrzeuggruppe 8), der u.a. eine Haftungsreduzierung, die Zustellung des Fahrzeugs, ein Navigationsgerät und Winterbereifung zum Vertragsgegenstand hatte. Der Zedent trat die ihm aus dem Unfall als Schadensersatz zustehende Forderung auf Erstattung der Mietwagenkosten in voller Höhe an die Klägerin ab. Die Mietdauer betrug 30 Tage (23.11.2022 bis 22.12.2022 einschließlich). Der Mietzins erreichte in seiner Gesamtsumme 5.040,38 EUR brutto; dabei entfielen 2.975,42 EUR auf den Grundpreis, 685,50 EUR auf die Haftungsreduzierung, 22,69 EUR auf die Zustellung, 252,– EUR auf die Navigation und 300,– EUR auf die Winterreifen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Rechnung, des Mietvertrages sowie der Abtretungsvereinbarung Bezug genommen.
Die Klägerin übersandte die Rechnung Anfang Januar 2023 an den Beklagten. Unter dem 18.1.2023 forderte sie ihn mit Fristsetzung bis zum 25.1.2023 zur Zahlung der Mietwagenkosten auf. Eine solche erfolgte zunächst nicht.
Die Klägerin behauptet, dem Zedenten sei der Mietwagen am 23.11.2022 unter seiner Privatadresse zugestellt worden.
Sie ist der Auffassung, für die Erforderlichkeit der Mietwagenkosten sei die Fraunhofer-Liste weder als alleinige Schätzgrundlage tauglich noch als eine von mehreren Schätzgrundlagen im sogenannten Mischmodell. Sie leide an einer Vielzahl von Mängeln, u.a. an der Internetlastigkeit der eingeholten Angebote, an der Nichterhebung von Nebenkosten sowie an der Vorgabe eines Anmietzeitpunktes eine Woche im Voraus. Seit dem Vorwort zur Ausgabe 2020 sei zudem erkennbar, dass sie die Auswertung anhand der ACRISS-Klassifikation der Fahrzeuge durchführe, die keine Rückschlüsse auf die Schwacke-Klassifikation zuließe. Auch seien keine Daten zu den Fahrzeugklassen 1 und 2, 2021 auch keine zu Fahrzeugklasse 4, erhoben worden, obwohl diese am Markt verfügbar gewesen seien. Zuletzt zeige der Vergleich der von Fraunhofer ermittelten Preissteigerung im Jahr 2022 mit den Daten des Statistischen Bundesamtes, dass die ermittelten Werte nicht der Realität entsprächen. Es sei daher auf die Schwacke-Liste (Automietpreisspiegel) als einzige taugliche Grundlage zur Ermittlung des Normaltarifes zurückzugreifen.
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.040,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.1.2023 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 527,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Klageschrift ist dem Beklagten am 9.2.2023 zugestellt worden. Der Beklagte hat am 10.2.2023 eine Zahlung in Höhe von 3.699,31 EUR auf die Mietwagenkosten zugunsten der Klägerin veranlasst, die bei dieser am 14.2.2023 eingegangen ist. Die Klägerin hat die Hauptsache in dieser Höhe mit Schriftsatz vom 14.4.2023 für erl...