VVG § 61 a.F.
Leitsatz
1. Der Grundsatz der engen Auslegung von Risikoausschlussklauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen gilt auch, wenn es um die Frage geht, ob eine Bestimmung überhaupt einen Risikoausschluss enthält oder einen im Bedingungswerk an anderer Stelle enthaltenen oder einen gesetzlichen Risikoausschluss (wie § 61 VVG a.F.) zum Nachteil des Versicherungsnehmers erweitert.
2. Eine Klausel, nach der der Versicherungsnehmer bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns seines Geschäftszweiges wahrzunehmen hat, ist als solche nicht als Erweiterung der Leistungsfreiheit nach § 61 VVG a.F. schon bei leicht fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles zu verstehen (Aufgabe von BGH, Urt. v. 24.11.1971, VersR 1972, 85).
BGH, Urt. v. 17.12.2008 – IV ZR 9/08
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Schmuckherstellerin, nimmt die Beklagte aus einem Vertrag über eine Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung auf Zahlung von 113.464 EUR in Anspruch. Sie behauptet, ihrem Geschäftsführer sei am 7.12.2005 während einer Verkaufsreise auf der niederländischen Antilleninsel Sankt Maarten in den Geschäftsräumen des Autovermieters bei der Rückgabe des Fahrzeugs eine Tasche mit 156 Schmuckstücken gestohlen worden. Die Beklagte beruft sich u.a. auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger, jedenfalls aber leicht fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 61 VVG a.F. i.V.m. Nr. 7.1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Nr. 7 AVB enthält "Allgemeine vertragliche Bestimmungen". Nr. 7.1. AVB lautet:
„Allgemeine Pflichten
Der Versicherungsnehmer hat bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen.“
Die Revision hat keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [11] „… III. Das BG hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte nicht nach § 61 VVG a.F. von der Verpflichtung zur Leistung frei ist.
[12] 1. Der Geschäftsführer der Klägerin hat den Versicherungsfall nicht durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt.
[13] a) Ob die Fahrlässigkeit im Einzelfall als einfach oder grob zu werten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. Sie erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln. Diese tatrichterliche Würdigung ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Nachgeprüft werden kann nur, ob in der Tatsacheninstanz der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt worden ist oder ob beim Bewerten des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind (Senat VersR 2003, 364 unter II 3c).
[14] b) Den Ausführungen des BG ist zu entnehmen, dass es den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit ( … ) nicht verkannt hat. Die Wertung des Verhaltens des Geschäftsführers der Klägerin als nicht grob fahrlässig beruht auf einer nachvollziehbaren Würdigung aller wesentlichen Umstände der konkreten Situation, in der er sich im Geschäftslokal des Autovermieters befand, und ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die beweispflichtige Beklagte in der Revisionsbegründung darauf hinweist, der Geschäftsführer der Klägerin sei möglicherweise von dem Dieb schon seit längerem als Schmuckhändler erkannt und bis zum Autovermieter verfolgt worden und er habe auch der im Geschäftslokal befindlichen unbekannten jungen Frau und dem hinter ihm befindlichen Mann misstrauen müssen, handelt es sich um bloße Vermutungen und – wie auch bei den übrigen Ausführungen – um unbeachtliche eigene Würdigung.
[15] 2. § 61 VVG a.F. kann zwar grundsätzlich durch Vereinbarung zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgeändert werden (vgl. Senat VersR 1993, 830 unter I 3b). Der Senat folgt aber der Auslegung des BG, dass Nr. 7.1 AVB diesen Risikoausschluss nicht auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles durch einfache Fahrlässigkeit i.S. eines Verstoßes gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erweitert.
[16] a) aa) Nach heute gefestigter Rspr. (vgl. BGHZ 123, 83, 85 und Senat VersR 2000, 1090 unter 2 und ständig) und inzwischen allgemein anerkannter Auffassung sind AVB so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte (Senat VersR 2000, 1090 unter 2a; vgl. dazu und zum überholten Maßstab der “gesetzesähnlichen’ Auslegung auch Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., vor § 1 Rn 15 ff.). Entgegen der Ansicht der Revision kann die für individualvertragliche Vereinbarungen geltende Auslegungsregel, nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei anzunehmen, eine vertragliche Bestimmung solle nach dem Willen der Parteien einen be...