StPO §§ 267 IV; 275 I 2; OWiG § 77 b
Leitsatz
Die Ergänzung der Urteilsgründe nach § 267 IV 3 StPO bzw. nach § 77b II OWiG setzt voraus, dass der Tatrichter von der Möglichkeit eines abgekürzten Urteils gem. § 267 IV 1 und 2 StPO bzw. des Absehens von Urteilsgründen gem. § 77b I OWiG tatsächlich Gebrauch gemacht hat. Hat er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht und ein Urteil mit (vollständigen) Gründen aus dem internen Gerichtsbereich hinaus gegeben, scheidet – unbeschadet einer im Einzelfall eröffneten Urteilsergänzung im Wege der Urteilsberichtigung – eine Urteilsergänzung nach § 267 IV 3 StPO bzw. § 77b II OWiG aus (Anschluss an OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 24 f.).
(Gerichtlich autorisierte Leitsätze)
OLG Bamberg, Beschl. v. 29. 1. 2009 – 3 Ss OWi 90/09
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „… 1. Die Betr. hat die Wochenfrist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 341 Abs. 1 StPO) versäumt. Der Betr. ist jedoch auf ihren gegenüber dem AG am 20.10.2008 angebrachten Antrag, gegen den in förmlicher Hinsicht keine Bedenken bestehen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Fristversäumung zu gewähren, weil glaubhaft gemacht ist, dass sie an der Fristversäumnis kein Verschulden trifft (§§ 44, 45 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen der Betr. zur Last (§ 473 Abs. 7 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG).
2. Ergänzend bemerkt der Senat: Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beginnt im vorliegenden Fall, in dem der Tatrichter – nach Rechtsmitteleinlegung am 20.10.2008 – am 30.10.2008 die am 4.11.2008 erfolgte Zustellung des am 29.10.2008 zu den Akten gebrachten, mit (nicht abgekürzten) Gründen versehenen schriftlichen Urteils angeordnet hat, mit der Zustellung dieses die Wiedereinsetzung bewilligenden Beschlusses (st. Rspr. des Senats, z.B. Beschl. v. 15.2.2007 – 3 Ss OWi 1732/2006 – und v. 2.5.2007 – 3 Ss OWi 503/2007; BGHSt 30, 335/338 ff.; BayObLGSt 1971, 188 sowie BayObLG, Beschl. v. 29.10.2004 – 1Ob OWi 500/04; OLG Stuttgart NStZ-RR 2001, 24; KK/Senge, OWiG, 3. Aufl. § 79, Rn 82 m.w.N.). Dem steht der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.9.2008 (NJW 2008, 3509 ff.) nicht entgegen. Diese Entscheidung betrifft ausschließlich die Frage, wann die Frist zur Ergänzung der Urteilsgründe nach §§ 267 Abs. 4 S. 3, 275 Abs. 1 S. 2 StPO zu laufen beginnt. Die Ergänzung der Urteilsgründe nach § 267 Abs. 4 S. 3 StPO – entsprechend im Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 77b Abs. 2 OWiG – setzt aber voraus, dass der Tatrichter von der Möglichkeit eines abgekürzten Urteils gem. § 267 Abs. 4 S. 1 und 2 StPO – bzw. des Absehens von Urteilsgründen gem. § 77b Abs. 1 OWiG – Gebrauch gemacht hat (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.). Denn die durch § 267 Abs. 4 S. 3 StPO – entsprechend § 77b Abs. 2 OWiG – eröffnete Ergänzung der Urteilsgründe stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unabänderlichkeit der Urteilsgründe (nach Verlassen des internen Gerichtsbereichs) dar, die notwendig ist, um unnötige Aufhebungen des abgekürzten Urteils (bzw. des Urteils ohne Gründe) zu vermeiden (LR/Gollwitzer, StPO 25. Aufl., § 267, Rn 143 m.w.N.). Soweit aber der Tatrichter in Ausübung des ihm zustehenden Ermessens von der Möglichkeit des § 267 Abs. 4 S. 1 und 2 StPO, § 77b Abs. 1 OWiG – wie hier – keinen Gebrauch macht, sondern ein Urteil mit (vollständigen) Gründen aus den internen Gerichtsbereich hinaus gibt, ist – unbeschadet der Möglichkeit einer Ergänzung im Wege der Urteilsberichtigung (vgl. zum Beginn der Rechtsmittelbegründungsfrist in diesem Fall BayObLG NStZ-RR 1997, 247 und NStZ-RR 1999, 140 m.w.N.) – für eine Urteilsergänzung auf Grund des § 267 Abs. 4 S. 3 StPO, § 77b Abs. 2 OWiG kein Raum.
3. Die weitere Behandlung obliegt nunmehr zunächst dem AG, das nach Eingang einer Begründung oder nach Ablauf der Begründungsfrist nach § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 347 StPO zu verfahren haben wird. … .“
Mitgeteilt von RiOLG Dr. Georg Gieg, Bamberg