VV RVG Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300, 3100; ZPO § 91 Abs. 2 Satz 2

Im Kostenfestsetzungsverfahren kommt die Anrechnung einer Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 RVG VV auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nicht in Betracht, wenn beide Gebühren von verschiedenen Rechtsanwälten verdient worden sind.

BGH, Beschl. v. 10.12.2009 – VII ZB 41/09

In dem vor dem LG München I betriebenen selbständigen Beweisverfahren haben die anwaltlich vertretenen Parteien einen Vergleich mit Quotelung der Kosten geschlossen. Vorgerichtlich hatte sich der Antragsgegner durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen als in diesem selbständigen Beweisverfahren. Die Rechtspflegerin des LG hat die Anwaltskosten des Antragsgegners – darunter eine unverminderte 1,3 Verfahrensgebühr – antragsgemäß ausgeglichen. Die Antragstellerin hat mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde eingewandt, die dem vorgerichtlich tätig gewesenen Rechtsanwalt des Antragsgegners erwachsene Geschäftsgebühr müsse anteilig auf die Verfahrensgebühr seines Verfahrensbevollmächtigten angerechnet werden. Die sofortige Beschwerde und die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hatten keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

[10] “… a) Der BGH hat entschieden, dass die einem Rechtsanwalt vorgerichtlich erwachsene Geschäftsgebühr in Anwendung der Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG VV teilweise auf die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen ist und der Prozessgegner sich im Kostenfestsetzungsverfahren auf diese Anrechnung berufen kann (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 = zfs 2008, 288 m. Anm. Hansens = RVGreport 2008, 148 (Hansens)).

[11] Eine Kürzung der Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren kommt nach dieser Rechtsprechung jedoch nur dann in Betracht, wenn im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant eine Anrechnung zu erfolgen hat. Entscheidend für die Anrechnung und damit für die von selbst einsetzende Kürzung der Verfahrensgebühr ist nämlich, ob der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hat (BGH, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07, a.a.O.). Hat der erstmals im Verfahren tätige Anwalt eine solche Gebühr nicht verdient, wovon das Beschwerdegericht – von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen – ausgeht, so scheidet eine Anrechnung aus. Die von einem anderen, vorprozessual tätigen Anwalt verdiente Gebühr muss sich der prozessual tätige Anwalt nicht anrechnen lassen.

[12] b) Die Antragstellerin macht geltend, aus dem Grundsatz, dass eine Partei die Kosten so gering wie möglich zu halten habe und aus Art. 3 GG folge, dass sie so gestellt werden müsse, als habe der Antragsgegner nur einen Anwalt beauftragt; in diesem Fall wäre die Verfahrensgebühr nach der Rechtsprechung des BGH vor Geltung des § 15 a RVG zu kürzen gewesen.

[13] Diese Rüge ist unbegründet. Die Antragstellerin verkennt, dass die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG VV nicht dem Schutz des Prozessgegners dient. Unabhängig davon, ob § 15 a RVG auf das vor seinem Inkrafttreten eingeleitete und zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendete Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 2.9.2009 – II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 = zfs 2009, 646 m. Anm. Hansens = RVGreport 2009, 387 (Hansens); Beschl. v. 29.9.2009 – X ZB 1/09, NJW 2010, 76 = RVGreport 2009, 474 (Hansens)), besteht kein Anlass die Verfahrensgebühr nur deshalb zu kürzen, weil eine Partei vorprozessual einen anderen Anwalt hatte, der allein die Geschäftsgebühr verdient hat.”

 
Anmerkung

Der Entscheidung ist zuzustimmen.

1. Anrechnung der Geschäftsgebühr

Das OLG Hamburg RVGreport 2008, 392 (Hansens) = AGS 2008, 259 hatte ohne nähere Begründung die Auffassung vertreten, die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG sei auch dann anwendbar, wenn sich die Partei im selbständigen Beweisverfahren von anderen Rechtsanwälten hat vertreten lassen als im nachfolgenden Hauptsacheprozess. Diese Auffassung ist gebührenrechtlich nicht haltbar und ist – für die auch hier einschlägig gewesene Anrechnungsbestimmung der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG – vom OLG Koblenz RVGreport 2009, 151 (Hansens) und dem OLG München RVGreport 2009, 112 (ders.) abgelehnt wurden. Dieser Auffassung hat sich der BGH hier damit zu Recht angeschlossen.

2. Notwendigkeit des Anwaltswechsels

Der BGH hat auch zutreffend verneint, der Antragsgegner müsse sich im Kostenfestsetzungsverfahren so stellen lassen, als habe er sich vorgerichtlich und auch gerichtlich nur durch einen einzigen Rechtsanwalt vertreten lassen. Hierbei hat der BGH die immerhin erwägenswerte Bestimmung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht herangezogen. Sie ist auch in dem vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil sie sich lediglich auf den Anwaltswechsel innerhalb des gerichtlichen Verfahrens bezieht (siehe Hansens RVGreport 2007, 241, 242; RVGreport 2008, 321, 325). Dies hat zur Fol...

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