RVG § 14 Abs. 1; Nr. 2300 VV RVG
Leitsatz
Fertigt der Rechtsanwalt insgesamt sieben Schreiben an die Kfz-Haftpflichtversicherung und führt er sechs fernmündliche Besprechungen mit dem geschädigten Mandanten, so ist der Ansatz einer 1,5 Geschäftsgebühr für die Regulierung des Verkehrsunfalls angemessen.
(Leitsatz des Bearbeiters)
AG Neumünster, Urt. v. 11.10.2010 – 36 C 215/10
Sachverhalt
In dem Rechtsstreit verlangte der Kläger Freistellung von Rechtsanwaltskosten für die Regulierung eines Verkehrsunfalls. Dabei hatte der Kläger den Ersatz von Sachschäden sowie Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 4.366,36 EUR geltend gemacht. Der beklagte Haftpflichtversicherer hat den Betrag gezahlt. Für die Tätigkeit im Rahmen der Regulierung des Verkehrsunfalls hat der Kläger eine 1,5 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagen geltend gemacht, worauf der beklagte Haftpflichtversicherer lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagen gezahlt hat.
Die Klage auf Freistellung von restlichen Anwaltskosten hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… Zwischen den Parteien ist alleine streitig, ob eine Geschäftsgebühr mit einem Faktor von 1,5 oder nur von 1,3 angefallen ist. Nach Auffassung des Gerichts ist im vorliegenden Fall eine Geschäftsgebühr mit einem Faktor von 1,5 angemessen. Nach Nr. 2300 VV/RVG kann der Anwalt eine Geschäftsgebühr mit einem Faktor von 0,5 bis 2,5 geltend machen. Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann er nur fordern, wenn seine Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Gem. § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Anwalt bei einer Rahmengebühr seine konkrete Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Schwierigkeit und des Umfangs der Tätigkeit. Gem. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist die getroffene Bestimmung bei ihrer Unbilligkeit nicht verbindlich, wenn die Gebühr von einem Dritten zu setzen ist. Letzteres ist hier der Fall, da die Gebühr von dem Beklagten ersetzt werden soll. Die Überprüfung der von den Bevollmächtigten des Klägers getroffenen Bestimmung ergibt jedoch, dass sie der Billigkeit entspricht.
Im vorliegenden Fall ist das Gericht der Auffassung, dass die Tätigkeit der Bevollmächtigten des Klägers umfangreich war. Die Tätigkeit ging nämlich erheblich über die Fertigung eines Forderungsschreibens an den Beklagten hinaus, für das die Bevollmächtigten des Klägers bereits eine Geschäftsgebühr nach einem Faktor von 1,3 hätten geltend machen können. Die Bevollmächtigten des Klägers haben nämlich mit Schreiben vom 7.10.2009 Sachschadenspositionen geltend gemacht und zugleich einen Vorschuss auf das Schmerzensgeld gefordert. Sie haben dabei den Kläger gleichzeitig im Hinblick auf den Restwert des Fahrzeuges des Klägers aufgefordert, gegebenenfalls ein Kaufangebot über mehr als 400 EUR vorzulegen. Später haben sie auf Anforderung des Beklagten eine Schweigepflichtsentbindungserklärung des Klägers an den Beklagten übersandt. Nachdem der Beklagte einen Orderscheck übersandt hatte, ergaben sich Probleme mit dessen Einlösung. Des Weiteren ist nach Erörterung mit dem Kläger mit Schreiben vom 24.11.2009 Nutzungsausfall geltend gemacht worden. Schließlich haben die Bevollmächtigten des Klägers nach Erörterung mit ihm das Schmerzensgeld beziffert. Parallel dazu ergab sich eine Korrespondenz mit der Polizeizentralstation Bad Bramstedt wegen der Unfallakte. Insgesamt haben die Bevollmächtigten des Klägers sechs Schreiben und ein Fax an den Beklagten übersandt sowie fünf Schreiben an den Kläger. Außerdem fanden insgesamt sechs fernmündliche Besprechungen mit dem Kläger statt. Die Tätigkeit der Bevollmächtigten des Klägers war dabei in diesem Umfang sachdienlich, insgesamt hält das Gericht bei dieser Sachlage das Geltendmachen einer Mittelgebühr von 1,5 für angemessen. …“
Mitgeteilt von RA Dr. Jens-Olaf Buhr, Bad Bramstedt
3 Anmerkung:
In seinem Urt. v. 31.10.2006, zfs 2007, 102 mit Anm. Hansens = RVGreport 2007, 21 (Hansens) = AGS 2007, 28 = NJW-RR 2007, 420 hat der BGH ausgeführt, die Berechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr für die Tätigkeit bei der Regulierung eines durchschnittlichen Verkehrsunfalls sei nicht unbillig. Seitdem ist die Anzahl der Streitigkeiten, bei denen es um die Erstattung einer 1,3 Geschäftsgebühr in Verkehrsunfall-Angelegenheiten geht, zurückgegangen. Die Geschädigten stoßen aber dann noch auf größeren Widerstand seitens der Kfz-Haftpflichtversicherungen, wenn sie RA-Kosten über die 1,3 Schwellengebühr hinaus geltend machen. Das AG Neumünster hat hier überzeugend begründet, dass ein Anspruch auf eine 1,5 Geschäftsgebühr, die ja die Mittelgebühr ist, dann in Betracht kommt, wenn die anwaltliche Tätigkeit umfangreich war. Der Umfang und ggf. auch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit muss dann im Einzelnen dargetan werden. Das hatte der Kläger hier getan. Das Verhalten der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung, die lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr zugestanden hat, ist angesichts der dargelegten Anwaltstätigkeit nicht recht verständlich. Wirtschaftlich war dieses Verhalten gewiss nicht. Die gerichtliche Durchsetzung des umstr...