StPO § 464a Abs. 2 Nr. 2; ZPO § 91 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
Hätte der als Wahlverteidiger für den Angeklagten tätige Rechtsanwalt gem. §§ 141, 142 StPO n.F. als Pflichtverteidiger bestellt werden können, so dürfen seine als Wahlverteidiger geltend gemachten Auslagen, insb. seine Reisekosten, nicht hinter der Pflichtverteidigervergütung zurückbleiben.
(Leitsatz des Bearbeiters)
OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.12.2010 – 2 Ws 567/10
Sachverhalt
Dem früheren Angeschuldigten W. lag ein Verbrechen der Geldfälschung zur Last. Aufgrund Haftbefehls des AG R. befand er sich daher für rund 4 Monate in Untersuchungshaft. Für ihn war Rechtsanwalt L. als Wahlverteidiger tätig. Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, den Haftbefehl des AG aufgehoben und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse auferlegt. Rechtsanwalt L. hat aufgrund der Abtretung des Kostenerstattungsanspruch des Angeschuldigten die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen, darunter Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld i.H.v. insg. 385,20 EUR, beantragt. Der Rechtspfleger hat neben anderen hier nicht interessierenden Kostenpositionen die Festsetzung der Fahrtkosten abgelehnt.
Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat Rechtsanwalt L. geltend gemacht, nach der Änderung des § 142 Abs. 1 StPO durch das sog. zweite Opferrechtsreformgesetz bestehe für den auswärtigen Wahlverteidiger auch ein Anspruch auf Ersatz von Reisekosten. Der frühere Angeschuldigte habe ihn wegen des zwischen ihnen bestehenden besonderen Vertrauensverhältnisses als Verteidiger beauftragt. Er habe diesen bereits seit mehreren Jahren in anderen Verfahren vertreten. Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … Ebenfalls zu erstatten waren die Reisekosten und das Abwesenheitsgeld des auswärtigen Verteidigers. Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind Reisekosten und Abwesenheitsgeld eines Rechtsanwalts, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und dort auch nicht seinen Wohnsitz hat, nur insoweit von der Staatskasse zu erstatten, als seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Dies ist hier zu bejahen. Zum einen handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH im Allgemeinen um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, wenn eine vor einem auswärtigen Gericht verklagte Partei einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt (vgl. etwa BGH NJW 2003, 898 zu § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO; Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 91 Rn 13 m.w.N.; auch OLG Köln a.a.O.). Zum anderen weist der Beschwerdeführer zu Recht auf die Änderung des § 142 Abs. 1 StPO zum 1.10.2009 hin. Danach setzt die Bestellung des vom Beschuldigten bezeichneten Verteidigers nicht mehr voraus, dass er bei seinem Vorschlag einen ortsansässigen Rechtsanwalt bezeichnet hat. So kommt insb. bei einem schweren Schuldvorwurf dem besonderen Vertrauensverhältnis eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu. Ein solches Vertrauensverhältnis hat der Beschwerdeführer dargelegt. Demnach hätte sich der frühere Angeschuldigte hier – mangels ausnahmsweise entgegenstehender Gründe – des Beschwerdeführers bedienen dürfen. Wenn aber gem. §§ 141, 142 StPO der Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können, dürfen seine als Wahlverteidiger geltend gemachten Auslagen dahinter nicht zurückbleiben."
3 Anmerkung:
Das OLG Nürnberg ist – soweit ersichtlich – das erste OLG, das aus den Änderungen des § 142 Abs. 1 StPO hinsichtlich der Auswahl des Pflichtverteidigers erstattungsrechtliche Konsequenzen für den Wahlanwalt gezogen hat. Zuvor sind lediglich untergerichtliche Entscheidungen bekannt geworden, so etwa AG Witten RVGreport 2010, 234 (Burhoff) = VRR 2010, 280 = AGS 2010, 326 = StRR 2010, 360 für die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten; LG Bochum StRR 2010, 117 gegen die Erstattungsfähigkeit. Nach der Neufassung des § 142 StPO durch das 2. OpferRRG v. 29.7.2009, BGBl I, S. 2280 spielt die Frage der Ortsansässigkeit des Rechtsanwalts bei der Auswahl und Bestellung des Pflichtverteidigers nicht mehr die entscheidende Rolle (s. OLG Köln NStZ-RR 2011,49 = StRR 2011, 63). Der Gesetzgeber hat dieses Merkmal aus dem Gesetzestext gestrichen. Dies hat der Gesetzgeber damit begründet, eine Überbetonung dieses einzelnen Kriteriums durch die Benennung im Gesetz solle vermieden werden, da weitere ebenso gewichtige Umstände wie ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dem Beschuldigten bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen seien (vgl. BT-Drucks 16/12098 S. 20, 21). Damit ist von erheblicher Bedeutung für die Bestellung des Pflichtverteidigers das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeschuldigten bzw. Angeklagten und seinem Verteidiger. Der auswärtige Pflichtverteidiger erhält aus der Landeskasse gem. § 45 Abs. 3 RVG die gesetzlichen Gebühren und Auslagen, zu denen nach § 46 Abs. 1 RVG auch die Reisekosten gehören. Diese sind aus der Landeskasse nur dann nicht zu ersetzen, wenn die Reise zu...