GG Art. 103 Abs. 2; OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 § 79 Abs. 1 S. 2 § 80 Abs. 1 Nr. 1 § 80 Abs. 2 Nr. 1; StVO § 23 ABS. 1 S. 2 § 49 Abs. 1 Nr. 22; BKat Lfd. Nr. 108
Leitsatz
1. Zur Fortbildung des Rechts ist eine Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Die Fortbildung des Rechts kommt danach nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht; denn Sinn der Zulassung ist nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung im Einzelfall.
2. Nach der über § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO bußgeldbewehrten Vorschrift des § 23 Abs. 1 S. 2 StVO ist der Fahrzeugführer auch dafür verantwortlich, dass von dem Fahrzeug bei Einhaltung sämtlicher Betriebs-, Bau- und Ausrüstungsvorschriften keine Gefahr deshalb ausgeht, weil die konkrete Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs durch sonstige fahrzeugbezogene Umstände erheblich beeinträchtigt ist.
3. Von einer derartigen Beeinträchtigung ist auch auszugehen, wenn die Gefahrsteigerung darauf beruht, dass das Fahrzeug, der Zug oder das Gespann geführt wird, obwohl sich auf dem Dach oder der Dachplane des Fahrzeugs oder Anhängers witterungsbedingt größere Eisplatten oder Eisstücke bilden konnten, die im Fall der Ablösung zu massiven Gefährdungen Dritter führen können.
(Leitsätze vom entscheidenden Senat autorisiert)
OLG Bamberg, Beschl. v. 18.1.2011 – 3 Ss OWi 1696/10
Sachverhalt
Der Betr. führte am 15.1.2010 um 17.30 Uhr seinen Lkw mit Anhänger auf der BAB auf der rechten Fahrspur, als sich von der Dachplane des Anhängers 5 bis 10 Eisbrocken lösten, von denen 3 bis 4 eine Größe von ca. 10 × 20 cm aufwiesen. Die herab geschleuderten Eisbrocken fielen auf den Pkw des auf der linken Fahrspur im hinteren Bereich des Anhängers fahrenden Zeugen und verursachten am Dach des Pkw eine etwa handflächengroße Eindellung und auf der Motorhaube mehrere kleinere Dellen.
Das AG hat den Betr. wegen "fahrlässigen Führens eines nicht vorschriftsmäßigen Fahrzeugs, wodurch die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt war" (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO i.V.m. Nr. 108 BKat), zu einer Geldbuße von 80 EUR verurteilt.
Die gegen das Urt. gerichtete, mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete Rechtsbeschwerde des Betr., deren Zulassung er beantragt, blieb ohne Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … II. Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag ist unbegründet, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorliegen. Da in dem angefochtenen Urt. gegen den Betr. ausschließlich eine Geldbuße von 80 EUR und damit von nicht mehr als 250 EUR festgesetzt wurde, bedarf die Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG für ihre Statthaftigkeit der vorherigen Zulassung durch das Rechtsbeschwerdegericht.
1. Nach § 80 Abs. 1 OWiG lässt das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG auf Antrag nur zu, wenn es erforderlich ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) oder wenn es geboten ist, das Urt. wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
2. Beträgt – wie hier – die festgesetzte Geldbuße nicht mehr als 100 EUR oder ist gegen den Betr. eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art angeordnet worden, deren Wert im Urt. ebenfalls auf nicht mehr als 100 EUR festgesetzt worden ist, so ist die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde durch § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG noch weiter gehend, nämlich dahin eingeschränkt, dass in den Fällen des § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nur noch die Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung bezogen auf das sachliche Recht, mithin nicht wegen der Anwendung von das Verfahren betreffenden Rechtsnormen, die Zulassung rechtfertigen kann.
3. Nachdem der Betr. vorliegend selbst keine Versagung des rechtlichen Gehörs – für die im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte vorliegen und die überdies mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen wäre – reklamiert, könnte eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nur in Betracht kommen, wenn die Zulassung hier ausnahmsweise geboten wäre, um dem OLG im allgemeinen Interesse Gelegenheit zu geben, durch seine Entscheidung zur Fortbildung des sachlichen Rechts beizutragen.
a) Zur Fortbildung des materiellen Rechts ist eine Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Die Fortbildung des Rechts kommt danach nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht; denn Sinn der Regelung ist nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung im Einzelfall (vgl. neben BGHSt 24, 15, 21 = NJW 1971, 389, 391 = DAR 1971, 81 ff. = VerkMitt 1971, Nr. 12 aus der neu...