ZPO § 120 Abs. 4 § 124 § 172 Abs. 1
Leitsatz
Auch nach dem formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens haben Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren (§§ 120 Abs. 4, 124 ZPO) jedenfalls dann gem. § 172 Abs. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten der Partei zu erfolgen, wenn dieser die Partei im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat.
BGH, Beschl. v. 8.12.2010 – XII ZB 38/09
Sachverhalt
Das AG L – FamG – hatte dem durch Rechtsanwältin Dr. W vertretenen Antragsteller im Jahr 2005 unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe unter Anordnung von Ratenzahlung bewilligt. Im Januar 2006 war das Verfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen beendet. In der Folgezeit forderte der Rechtspfleger des AG L. den Antragsteller wiederholt erfolglos auf mitzuteilen, ob sich die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert hätten. Nach vorheriger Ankündigung hob das AG durch Beschl. v. 2.5.2008 die Prozesskostenhilfe wieder auf. Diesen Beschluss hat das AG dem Antragsteller am 29.5.2008 zugestellt und Rechtsanwältin Dr. W am 2.6.2008 formlos übermittelt. Hiergegen hat der Antragsteller durch den am 2.7.2008 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, die das OLG K als unzulässig verworfen hat. Die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers führte zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung an das OLG.
2 Aus den Gründen:
" … [9] Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
[12] Nach § 120 Abs. 4 ZPO kann das Gericht innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren ab rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger Beendigung des Verfahrens die Entscheidung über die im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Auf Verlangen des Gerichts hat sich die Partei darüber zu erklären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Nach § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO nicht abgegeben hat.
[13] In Rspr. und Lit. ist streitig, ob die Aufforderung zur Erklärung über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse und der Beschluss, durch den nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens die für dieses Verfahren bewilligte Prozesskostenhilfe gem. §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO aufgehoben wird, der Partei persönlich oder gem. § 172 Abs. 1 ZPO deren (früheren) Prozessbevollmächtigten zugestellt werden müssen.
[14] a) Überwiegend wird die Ansicht vertreten, die Zustellung könne wirksam nur an die Partei erfolgen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft ende das anhängige Verfahren im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO. Das Verfahren gem. §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO gehöre nicht zum Rechtszug im Sinne dieser Norm. Ebenso wenig sei es einem der in § 172 Abs. 1 S. 2 ZPO genannten Verfahren vergleichbar. Vielmehr stelle es ein selbständiges Verwaltungsverfahren und als solches ein neues Verfahren dar, welches einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO gleiche. Die Vertretung im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren sei auch nicht vom gesetzlichen Umfang der Prozessvollmacht gem. § 81 ZPO umfasst (OLG Dresden NJ 2008, 315 f.; OLG Hamm FamRZ 2009, 1234, 1235; OLG Naumburg OLGR 2008, 404 f.; OLG Koblenz FamRZ 2008, 1358; OLG Köln FamRZ 2007, 908; OLG München FamRZ 1993, 580; Musielak/Fischer, ZPO, 7. Aufl. § 124 Rn 3; Musielak/Wolst, a.a.O., § 172 Rn 5; Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl. § 172 Rn 7; Wieczorek/Schütze/Rohe, ZPO, 3. Aufl. § 172 Rn 25; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 120 Rn 28, § 124 Rn 23).
[15] b) Nach der Gegenmeinung haben auch in einem nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Prozesskostenhilfe (§§ 120 Abs. 4, 124 ZPO) Zustellungen jedenfalls dann gem. § 172 Abs. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, wenn dieser die Partei bereits im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hatte.
[16] Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass zu einem anhängigen Prozesskostenhilfeverfahren auch das sich gegebenenfalls erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens anschließende Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gehöre. Bei diesem Verfahren handele es sich um ein dem Wiederaufnahmeverfahren vergleichbares Verfahren, in dem gem. § 172 Abs. 1 S. 2 ZPO Zustellungen an den bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen müssten. Demgemäß erstrecke sich die von der Partei für das Prozesskostenhilfeverfahren erteilte Prozessvollmacht auch auf das sich anschließende Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren (BAG NZA 2006, 1128 = RVGreport 2007, 354 (Hansens); OLG Brandenburg FamRZ 2009, 1426 f.; 2008, 1356, 1357; 2008, 72 und Beschl. v. 1.2.2008 – 9 WF 362/07 – juris; OLG Hamm Beschl. v. 30.1.2007 – 2 WF 9/07 – juris; LAG Rheinland-Pfalz MDR 2007, ...