RVG § 15; VV RVG Nr. 2300; BGB § 249 § 280 § 286
Leitsatz
Befindet sich bei der Regulierung eines Verkehrsunfallschadens der Haftpflichtversicherer des Schädigers mit der Ersatzleistung in Verzug, sind Rechtsanwaltskosten, die der Geschädigte im Zusammenhang mit der Einholung einer Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers verursacht hat, nur zu erstatten, soweit sie aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.
BGH, Urt. v. 13.12.2011 – VI ZR 274/10
Sachverhalt
Die Kl. hat die beklagte Haftpflichtversicherung auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen. Die volle Einstandspflicht der Bekl. ist unstreitig. Die Parteien streiten nur noch um den Ersatz der Anwaltskosten i.H.v. 83,54 EUR, die die Kl. für die Einholung der Deckungszusage ihrer eigenen Rechtsschutzversicherung geltend macht. Das AG hat die Klage insoweit abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das BG die Beklagte auch insoweit verurteilt. Die – zugelassene – Revision der Bekl. hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[5] "… II. Allerdings werden zu der Frage, ob für die Herbeiführung der Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers durch den Rechtsanwalt des Geschädigten im Innenverhältnis Anwaltskosten entstehen und ob diese vom Schädiger bzw. seinem Haftpflichtversicherer im Außenverhältnis zu ersetzen sind, in Rspr. und Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten."
[6] 1. Teilweise wird bereits auf das Innenverhältnis zwischen dem geschädigten Mandanten und seinem Rechtsanwalt abgestellt.
[7] a) Insoweit wird nicht “dieselbe', sondern eine besondere Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG überwiegend angenommen, sofern der Anwalt hinsichtlich der Einholung der Deckungszusage gesondert beauftragt wird (vgl. OLG Celle RVGreport 2011, 149 (Hansens) = AGS 2011, 152; LG Duisburg zfs 2010, 520; LG München I zfs 2010, 521; LG Ulm zfs 2010, 521; LG Wuppertal zfs 2010, 519; N. Schneider in Schneider/Wolf, AnwaltKommentar RVG, 5. Aufl., § 15 Rn 65; Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., § 15 Rn 56; Bierschenk zfs 2011, 603; Hansens RVGreport 2010, 241; 321, 323; Lensing AnwBl 2010, 688; Meinel zfs 2010, 312 f.; Niehren AnwBl 2011, 135; dahingestellt bei KG AnwBl 2010, 445, 447; ablehnend Tomson VersR 2010, 1428).
[8] b) Von anderen wird “dieselbe' Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG bejaht (vgl. etwa OLG München JurBüro 1993, 163 noch zu § 118 BRAGO; LG Koblenz VersR 2010, 1331, 1332; LG Schweinfurt NJW-RR 2009, 1251, 1252; AG Schwäbisch Hall, Urt. v. 6.5.2010 – 6 C 20/10, juris Rn 20; zweifelnd auch Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 41 Rn 30). Dies wird überwiegend damit begründet, die Einholung der Deckungszusage sei als Annex zur Hauptsache anzusehen und deshalb nicht gesondert zu vergüten. Die weit verbreitete Praxis kostenloser Deckungsanfragen soll wettbewerbsrechtlich nicht als unzulässige Gebührenunterschreitung verfolgbar sein (KG AnwBl 2010, 445, 447 f.).
[9] c) Nach Ansicht des erkennenden Senats spricht viel dafür, dass das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit zu verneinen ist, wenn sich – wie es das BG für den Streitfall feststellt – die Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Anforderung der Deckungszusage bei dem Rechtsschutzversicherer unter Beifügung eines Entwurfs der Klageschrift erschöpft und der Deckungsschutz umstandslos bewilligt wird. Denn die Annahme einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne setzt nicht voraus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit kann vielmehr grds. auch dann noch gesprochen werden, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Geschädigten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen bzw. mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Ihr Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig wird. Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht, so dass eine Angelegenheit mehrere Gegenstände umfassen kann (vgl. Senatsurteile RVGreport 2009,423 (Hansens) = AGS 2009, 472 = NJW-RR 2010, 428 Rn 23 ff.; RVGreport 2011, 339 (Hansens) = NJW 2011, 3167, Rn 9 ff.).
[10] d) Erwägenswert ist auch die Ansicht, nach der der Anwalt den Mandanten darüber zu belehren hat, dass für die Einholung der Deckungszusage eine besondere Gebühr entsteht, wenn er diese Leistung abrechnen will (dafür etwa OLG Celle RVGreport 2011, 149 (Hansens) = AGS 2011, 152; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 9.9.2010 – 8 O 1617/10, juris Rn 37 f. m. Anm. Schöller, jurisPR-VerkR 21/2010 Anm. 3; AG Brühl AGS 2011, 361; Meinel zfs 2010, 312, 313; Niehren AnwBl 2011, 135; Schöller jurisPR-VerkR 21/2010 Anm. 3; dagegen etwa Hansens RVGreport 2010, 241, 243; Lensing AnwBl ...