Sind mehrere Kfz an einem Verkehrsunfall beteiligt, so hängt die Haftung ihrer Halter in ihrem Verhältnis zueinander nach § 17 StVG auch davon ab, "inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist."

Eigentlich kennt das Recht – ebenso wenig wie die Natur – Ursachen-Gewichte nicht. Entweder ist etwas ursächlich oder nicht: conditio sine qua non. Sogar für das Alles-oder-Nichts-Prinzip der Verschuldenshaftung ist die Intensität des schädigenden Verhaltens irrelevant: leichtestes Verschulden verpflichtet zum Ersatz des ganzen Schadens.

Die Vorschriften über die Bildung von Haftungsquoten für die Haftung aus Gefährdung ebenso wie § 254 BGB für die Haftung aus Verschulden durchbrechen dies im Interesse der Gerechtigkeit, im Licht von Treu und Glauben und zur Erleichterung der Schadensregulierung durch ein Abwägen nach der Schadensnähe der Beteiligungen in der Annäherungsphase kurz vor der Kollision: mit welchem Grad hat der Beitrag des einen und der des anderen die Kollision wahrscheinlich gemacht. Ohne diese Regelung hätte jeder Beteiligte – weil die Rechtsordnungen Selbstgefährdung und Selbstschädigung nicht verbieten – auch bei ganz überwiegendem Fehlverhalten einen Anspruch auf Ersatz seines vollen Schadens, und nur die Schadenshöhe gäbe Auskunft darüber, ob er oder sein Kontrahent Ersatz verlangen kann. Das will der Gesetzgeber nicht: deshalb setzen StVG und BGB an den Unterschieden in den mitursächlich gewordenen Gefährdungspotentialen und in den darin aktualisierten Verantwortungsanteilen an.

Bei wissenschaftlich exakter Umsetzung verlangt dies eine Momentaufnahme, fotografiert aus der Sicht ex ante unmittelbar vor dem Unfall – eine unerfüllbare Forderung, jedenfalls solange kein Unfalldatenspeicher vorgeschrieben ist, dessen Daten aber selbst dann, wenn Wahrscheinlichkeits-Mathematiker oder Risiko-Wissenschaftler sie auswerten würden, zu anfechtbaren Ergebnissen führen würden: ganz sicher würde kein Anwalt oder Richter – judex non calculat – die stringenten Anforderungen einer wissenschaftlichen Gewißheit erfüllen können, selbst mithilfe eines Kfz-Sachverständigen nicht.

Aber Rechtsprechung und Rechtswissenschaft verlangen das auch nicht. Seit dem Anastasia-Prozess genügt dem BGH für die Ursächlichkeit "ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewißheit, der Zweifeln Einlass gebietet".[2] Und die Juristen sind sich weitgehend darüber einig, dass die Verursachungsanteile aus der Sicht ex post festzustellen sind, dass etwaige Verschuldensanteile bei der Abwägung nur unter dem Aspekt der Gefahrverwirklichung eine Rolle spielen dürfen, dass nach den für den Unfall "wesentlichen Umständen" zu gewichten ist – wie viel größer oder geringer im Vergleich zur Gegenseite war die Anziehungskraft, mit der die Kollision objektiv herbeigerufen, herausgefordert worden ist:[3]

die Beschaffenheit des Kfz, seine kinetische Energie;
die Beschaffenheit seines Fahrers, seine Fahrweise unter den konkreten Umständen, für die natürlich auch die Straßen- und Witterungsverhältnisse, die Lichtverhältnisse, die Sicht des Fahrers eine Rolle spielen;
der Grad eines berechtigten Vertrauens in ein verkehrsrichtiges Verhalten der Gegenseite – geringer etwa in den Ballungszentren der Großstadt zur Zeit des Berufsverkehrs als in verkehrsärmeren Regionen und zu anderen Zeiten;
der Grad der von der StVO verlangten Vorsicht: nur mögliche Vermeidung oder Ausschluss einer Gefährdung anderer – sofern nicht konkrete Umstände Vertrauen entfallen lassen.

Und akzeptiert werden für die Gefahrgewichtung eigentlich unkorrekte, aber eingängige Differenzierungen wie diejenige zwischen "normaler" und "erhöhter" Betriebsgefahr:

bloße Anwesenheit des Kfz am Unfallort oder gefährliche Fahrweise oder Fahrzeugmängel oder schwierige Verhältnisse oder "Mängel" des Fahrers bis hin zu seiner Bewusstlosigkeit;
"erhöhte" Betriebsgefahr:[4] insbesondere bei Verletzung eines berechtigten Vertrauens der anderen Seite: Überholen bei typischen Überholrisiken; Vorfahrt- bzw. Vorrangverletzung; nicht immer schon überhöhte Geschwindigkeit;
nur ausnahmsweise tritt der Beitrag der einen hinter dem der anderen Seite ganz zurück. Faustregel: Überwiegen um mehr als das Vierfache.

Gewichtet werden dürfen nur Umstände, die als Ursache erwiesen sind;[5] nicht die abgefahrenen Reifen bei trockener Fahrbahn, nicht die schlechten Bremsen, die nicht aktuell geworden sind.

Und es zählt nicht die nackte Ursachenverkettung, sondern nur der dem Beteiligten von Rechts wegen – wegen des Schutzzwecks der übertretenen Norm – als Unfallursache zuzurechnende Umstand,[6] nicht der Verstoß gegen eine Vorschrift, die nicht dazu erlassen worden ist, diesen konkreten Unfall zu vermeiden: die Geschwindigkeitsüberschreitung in einer frühen Phase, ohne die sich die Kfz allerdings nicht begegnet wären; der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot nur bei Rechtswidrigkeitszusammenhang.

[2] BGHZ 53, 245, 256 = NJW 1970, 946, 948 – den er der Klägerin für den...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?