GG Art. 103 Abs. 1; OWiG § 80 Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz
Die unterlassene Verbescheidung eines in der Hauptverhandlung gestellten – nicht offensichtlich unzulässigen – Beweisantrages verletzt das Verfahrensgrundrecht des Betr. auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG); hier: Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens.
(Leitsatz des Einsenders)
Thüringer OLG, Beschl. v. 27.6.2011 – 1 Ss Rs 90/11
Sachverhalt
Auf den Einspruch des Betr. gegen einen Bußgeldbescheid verurteilte ihn das AG wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts einer Wechsellichtzeichenanlage in anderen Fällen als des Rechtsabbiegens mit Grünpfeil zu einer Geldbuße von 90 EUR.
Auf den Antrag des Betr. auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der zuständige Einzelrichter die Rechtsbeschwerde wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zugelassen und die Sache zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Der Senat hebt das Urt. des AG mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verweist die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das AG zurück.
2 Aus den Gründen:
"… . II. Die Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der fehlerhaften Behandlung eines Beweisantrages einen vorläufigen Erfolg."
Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung v. 1.3.2011 hat das AG den in der Hauptverhandlung von diesem Tage von dem Verteidiger des Betr. gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der gemessenen Zeit bei Passieren des Rotlichts nicht beschieden. Das Unterlassen der Verbescheidung eines in der Hauptverhandlung gestellten – nicht offensichtlich unzulässigen – Beweisantrages verletzt das Verfahrensgrundrecht des Betr. auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG). Da sich das AG mit dem in dem Beweisantrag liegenden Verteidigungsvorbringen des Betr. in der Hauptverhandlung nicht auseinandergesetzt hat, hat das Gericht das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt. Der Betr. hatte nämlich so nicht die Möglichkeit, sein Prozessverhalten auf die Ablehnung seines unbedingten Beweisbegehrens durch das Gericht, welches dies erst im Urt. zum Ausdruck gebracht hat, einzustellen und ggf. weitere Anträge zu stellen.
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urt. auf der fehlerhaften Nichtbehandlung des Beweisantrages in der Hauptverhandlung v. 1.3.2011 beruht. Davon ist hier nach dem Rügevorbringen, der Betr. hätte sich sodann umfassend zur bisherigen Beweiserhebung, insb. zur Aussage des Messbeamten J eingelassen und einen weiteren Beweisantrag gestellt, auszugehen. Im Übrigen kann ein Urt. selbst dann auf dem durch Nichtverbescheidung eines Beweisantrages gegebenen Verfahrensverstoß beruhen, wenn der Beweisantrag nach Sachlage mit einer rechtsfehlerfreien Begründung hätte abgelehnt werden können, der ASt. aber durch die unterbliebene Mitteilung der Ablehnungsgründe in seiner Prozessführung behindert worden ist (vgl. OLG Frankfurt StV 1981, 172). … .“
Mitgeteilt vom Senat für Bußgeldsachen des Thüringer OLG, Jena
3 Hinweis:
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs sieht das OLG Oldenburg auch, wenn sich aus der Begründung der Abweisung eines Beweisantrags ergibt, dass das AG den Inhalt des Beweisantrages nicht zur Kenntnis genommen und nicht berücksichtigt hat sowie die Begründung des Beschl. nicht nachvollziehbar und ersichtlich abwegig ist (zfs 2012, 108).