OWiG § 67 Abs. 1 § 79 Abs. 1, 3; StPO § 346 Abs. 1
Leitsatz
Wird erst im Rechtsbeschwerdeverfahren die Unzulässigkeit des Einspruchs festgestellt, nachdem das AG bereits in der Sache entschieden hat, ist die Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin aufzuheben.
OLG Hamm, Beschl. v. 20.2.2013 – III-3 RBs 13/13
Sachverhalt
Gegen den Betr. erging ein Bußgeldbescheid i.H.v. 125 EUR sowie mit einem Fahrverbot von einem Monat. Der Bußgeldbescheid wurde dem Betr. am Mittwoch, 29.2.2012, zugestellt. In einem Schreiben seines Verteidigers v. 2.3.2012, eingegangen am 7.3.2012, heißt es wörtlich: "Bezug nehmend auf den ( … ) Bußgeldbescheid möchte ich anregen, dass das verhängte Fahrverbot von einem Monat aufgehoben und die Geldbuße entsprechend angehoben wird. ( … ) Sofern eine entsprechende Neubescheidung im Rahmen der Widerspruchsfrist erfolgen würde, könnte diesseits auf die Einlegung von Rechtsmitteln zunächst verzichtet werden. …"
In einem weiteren Schreiben des Verteidigers v. 14.3.2012, eingegangen ausweislich des Eingangsstempels am Donnerstag, 15.3.2012, heißt es: "Rein vorsorglich und fristwahrend lege ich gegen den Bußgeldbescheid ( … ) Einspruch ein."
Die Akten wurden der StA und dem AG übersandt, dieses erließ ein dem Bußgeldbescheid gleichlautendes Urteil. Der Betr. rügt mit seiner Rechtsbeschwerde die Verletzung materiellen Rechts. Das OLG Hamm hat das angefochtene Urteil aufgehoben und den Einspruch des Betr. gegen den Bußgeldbescheid v. 27.2.2012 als unzulässig verworfen.
2 Aus den Gründen:
“… II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insb. fristgerecht eingelegt und begründet.
2. Auf die Rechtsbeschwerde hin ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Einspruch des Betr. gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig zu verwerfen:
Der Einspruch v. 14.3.2012 ist nicht innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist des § 67 Abs. 1 OWG eingelegt worden. Die Einspruchsfrist wurde durch die wirksame Zustellung des Bußgeldbescheids in Lauf gesetzt (§§ 50 Abs. 1 S. 2, 51 OWiG), also am Mittwoch, 29.2.2012. Sie endete gem. § 43 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG mit Ablauf des Mittwochs, 14.3.2012. Der Einspruch ging jedoch erst am Folgetag, Donnerstag, 15.3.2012, bei der Stadt G ein.
Der Schriftsatz des Verteidigers v. 2.3.2012, der innerhalb der Frist eingegangen ist, kann nicht als Einspruch gewertet werden. Weder ausdrücklich noch dem Sinn nach lässt sich diesem Schriftsatz entnehmen, dass bereits hiermit der Bußgeldbescheid angegriffen werden sollte. Nur von einer "Anregung" ist die Rede. Weiter heißt es ausdrücklich, dass auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet werden könne, wenn der Bußgeldbescheid noch abgeändert werden würde. Daraus ergibt sich, dass der Betr. mit diesem Schriftsatz gerade noch keinen Einspruch einlegen wollte.
Wird erst im Rechtsbeschwerdeverfahren die Unzulässigkeit des Einspruchs festgestellt, nachdem das AG bereits in der Sache entschieden hat, ist die Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin aufzuheben. Die Kosten der Rechtsbeschwerde hat nach §§ 473 Abs. 1 S. 1 OWiG i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG der Betr. zu tragen (Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 70 Rn 8).
Quelle: www.burhoff.de
3 Anmerkung:
Das AG hat die Zulässigkeit des Einspruchs vor dessen Begründetheit zu prüfen, so dass z.B. eine Entscheidung nach § 70 OWiG einer Rückleitung nach § 69 Abs. 5 OWiG vorgeht (KK-OWiG/Bohnert, 3. Aufl., 2006, § 70, Rn 1). Dabei prüft das Gericht in eigener Kompetenz und ist an die Einschätzung der Behörde oder der Staatsanwaltschaft nicht gebunden. Nach Beginn der Hauptverhandlung kann das AG den Einspruch durch (Prozess-)Urteil verwerfen, wenn sich die Unzulässigkeit dann erst herausstellt, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 260 Abs. 3 StPO (BayObLG, NJW 1962, 118). In der Kostenentscheidung sind die nicht von der Auslagenentscheidung des Bußgeldbescheids erfassten entstandenen gerichtlichen Kosten dem Betr. aufzuerlegen (BGHSt 26, 183).
Hatte das AG die Unzulässigkeit übersehen und in der Sache entschieden, kann das OLG auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin das Sachurteil aufheben und den Einspruch als unzulässig verwerfen, notfalls auch gegen eine zuvor ergangene gegenteilige Entscheidung des LG nach § 70 Abs. 2 OWiG (OLG Hamm, NJW 1970, 1092). Die Kosten der Rechtsbeschwerde hat dann der Betr. zu tragen, § 473 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG (BGHSt 13, 306). Allerdings bleibt hier Raum für § 21 GKG zugunsten des Betr. wegen unrichtiger Sachbehandlung durch das AG (Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., 2012, § 70, Rn 8). Wegen des Verschlechterungsverbots wäre im Übrigen die Geldbuße des Sachurteils maßgeblich, wenn diese niedriger als die Geldbuße des Bußgeldbescheids wäre (BGHSt 18, 127; OLG Düsseldorf, VRS 73, 389).
Der "Einspruch" muss zwar nicht als solcher bezeichnet werden. Hinsichtlich einer möglichen Falschbezeichnung des Einspruchs gilt § 300 StPO, solange der Anfechtungswille klar hervorgeht (OLG Köln, VRS 65, 56; BayObLG, VRS 83, 364 sowie OLG Brandenburg, VRS 102, 58 zur lediglich bestreitenden Stellungnahme im Anhörungsverfahre...